Saturday, 18th May 2024
18 Mai 2024

Stinkefinger und Banner-Tiraden: Bruderzwist heizt Red-Bull-Duell auf

Nicklichkeiten während des Spiels: Die Salzburg-Fans wettern gegen Ralf Rangnick.

Von Ullrich Kroemer, Salzburg


Von wegen Stallorder, um beide Klubs in der Europa League zu halten: Das Duell zwischen RB Leipzig und dem FC Salzburg verläuft vor allem wegen der Fans hitzig. Und Leipzigs Trainer Rangnick ist der Europapokal plötzlich egal.

Die Schadenfreude der Salzburger Fans war wenige Minuten vor Abpfiff des Rückspiels im Red-Bull-Duell zwischen dem "Original" aus Österreich und dem Ableger aus Leipzig nicht zu übersehen. "Die Nachrichten von morgen schon heute: Nach Europa-League-Aus – Sportdirektor Rangnick wirft seinen Trainer raus", plakatierten die Salzburger Ultras, als der 1:0 (0:0)-Triumph ihres Teams besiegelt war. Echte rivalisierende Europapokal-Atmosphäre also bot das Spiel im vollen Stadion. Von den 30.000 Zuschauern waren etwa 2500 aus Leipzig angereist.

Es ging schon hitzig los: Die Ultras der Gastgeber hatten ihrem Ex-Sportdirektor, der von 2012 bis 2015 für beide Klubs zuständig war, in einer regelrechten Banner-Tirade vorgeworfen, den Salzburger Erfolg zu seinem gemacht und schlechten Stil bewiesen zu haben; und überhaupt sei auch der "letzte Respekt verflogen". Nach Fouls der Leipziger skandierten die Gastgeber: "Scheiß RB Leipzig" und bei Abpfiff höhnisch: "Gegen Salzburg kann man mal verlieren." Ungewohnt schroffe Töne im Red-Bull-Fußballreich.

Keine Frage: Seitdem Ralf Rangnick immer wieder Salzburger Spieler nach Leipzig abwarb, ist er und somit auch Rasenballsport zum Feindbild auf den Rängen in Salzburg avanciert. Nun machte sich der 60-Jährige auch vor dem Rückspiel wieder unbeliebt, als er etwa bei der Pressekonferenz "in aller Bescheidenheit" daran erinnerte, dass es Salzburg in der Form ohne ihn gar nicht gäbe. Die Ablehnung, hatte Rangnick gesagt, könne er nicht verstehen, und die Verantwortung an die Klubführung weitergeschoben: "Dann würde das darauf hindeuten, dass das hier in den Jahren falsch kommuniziert wurde."

"Wollten den Sieg unbedingt"

Die Salzburger haben allen Grund zu feiern.

So konnte man rund um diese beiden Spiele beobachten, wie sich eine ernst zu nehmende Rivalität mit vielen verbalen Nickligkeiten zwischen beiden Klubs entwickelt, die Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, der bei beiden Spielen nicht anwesend war, erschaffen hat und noch immer mit Millionenbeträgen finanziert. Bruderzwist statt Stallorder also.

Dieser Eindruck bestätigte sich auch auf dem Platz, wo Salzburg nach dem 3:2-Erfolg im Hinspiel auch im zweiten Vergleich den besseren, gleichermaßen reiferen wie aggressiveren RB-Fußball zeigte. "Wir wollten den Sieg unbedingt. Wir haben heute einfach gezeigt, welcher Geist in der Mannschaft steckt, von der Bereitschaft her, den anderen zu unterstützen", schwärmte der Ex-Bremer Zlatko Junuzovic, der mit seinem akrobatischen Direktpass das 1:0 durch den Norweger Fredrik Gulbrandsen einleitete. "Beim Pressing, von der Unterstützung, wie wir Nachschieben, wie wir doppeln, wie wir uns in jedem Zweikampf gegenseitig helfen", erklärte Junuzovic.

Salzburgs Trainer Marco Rose beschwor nach Abpfiff die Einheit zwischen Coach und Team. "Ich bin wie eine Krake. Ich habe viele verlängerte Arme auf dem Spielfeld, eigentlich fast jeden", sagte Rose lachend. Dem gebürtigen Leipziger war anzumerken, wie viel ihm dieser Sieg im Prestigeduell bedeutet. Nachdem sein Vorgänger Oscar Garcia das Team entnervt verlassen hatte, hat Rose dem Klub ein neues, stolzes Selbstverständnis gegeben, mehr als nur ein Ausbildungsverein für die Leipziger zu sein. "Wir sind unangenehm zu bespielen, spielen aber selbst guten Fußball", sagte Rose. Diese Kombination berechtige dazu, auch den großen europäischen Teams Paroli bieten zu können. "Wir stecken uns keine Grenzen, sind selbstbewusst", so Rose euphorisch.

"Gewisse Entschlossenheit" hat gefehlt

An Selbstbewusstsein mangelt es auch Leipzigs Trainer Ralf Rangnick nicht. Obwohl Salzburg über 90 Minuten hinweg die klar bessere Mannschaft war – das zeigen alle (!) Statistik-Daten – attestierte er seiner Mannschaft ein "gutes und ausgeglichenes Spiel". Dabei hatte Salzburg auch ohne den verletzten Amadou Haidara, der im Winter nach Leipzig wechseln soll, über große Teile des Spiels Druck entfacht, während RB mit komplett fehlender Mittelfeldachse fahrig und unrund agierte.

Kaum einmal spielten die Gäste kontrolliert nach vorn. Die Passstatistik von gerade einmal 59 Prozent – Negativwert für RB in dieser Saison – spiegelt wider, wie sehr insbesondere die verletzten Kevin Kampl und Diego Demme fehlen und welchen Stress die Österreicher auslösten. Der Ex-Salzburger Konrad Laimer analysierte die Partie am selbstkritischsten und realistischsten: "Wir haben oft unsauber gespielt, viele Bälle nicht an den Mann gebracht, der letzte Pass, der Abschluss waren nicht so konkret." Die "gewisse Entschlossenheit", so Laimer habe gefehlt. "Das merkt man auf dem Spielfeld."

Rangnick hatte während der Partie nichts zu lachen.

Dass die Leipziger nun im letzten Gruppenspiel auf Schützenhilfe der Kollegen aus Salzburg angewiesen sind, ist eine weitere kuriose Pointe dieses Zweikampfs um die aktuelle Vormachtstellung im Red-Bull-Kosmos. Wenn die Salzburger bei Celtic Glasgow gewinnen und RB daheim gegen Rosenborg Trondheim den erwarteten Erfolg einfährt, zöge RBL trotzdem noch in die K.-o.-Runde ein. Ein Weiterkommen von Salzburgs Gnaden sozusagen. Doch von Schützenhilfe wollte Salzburgs Hannes Wolf nichts wissen. "Helfen?", fragte der Sechser. "Das ist uns egal. Wir wollen selbst drei Punkte holen. Wenn das Leipzig hilft, dann ist das halt so." Salzburg-Trainer Rose immerhin versprach vor dem Gastspiel im berauschenden Celtic-Park, dass sein Team dort gar nicht anders könne als alles zu geben: "Wir werden wieder einen raushauen, da brauche ich gar nicht viel zu machen. Das steckt einfach in den Jungs."

"Bei uns beschäftigt sich niemand mit der Euro League"

Umso interessanter war zu beobachten, wie sich Leipzig bereits innerlich aus dem Europapokal verabschiedete. "Wir haben nichts dagegen, noch ein bisschen länger in der Europa League zu spielen. Aber mit Verlaub: Unsere Priorität liegt ganz klar auf der Bundesliga", sagte Trainer Ralf Rangnick und ließ das erstaunte Auditorium bei der Pressekonferenz wissen: "Bei uns beschäftigt sich gerade niemand mit der Euro League."

Rangnick betonte erstmals so deutlich, dass das Saisonziel nur die Qualifikation für die Champions League sei. "Das wären unsere Festspiele. Sollten wir nicht mehr in der Europa League dabei sein, verringert das sicher nicht unsere Chancen", sagte Rangnick.

Ein völlig neuer Zungenschlag. Vor der Pleite war es stets Tenor gewesen, in allen drei Wettbewerben gut abzuschneiden. Darunter fiele ein Europa-League-Aus in der Gruppenphase ganz sicher nicht. Geschäftsführer Oliver Mintzlaff hatte noch am Vortag in der "Süddeutschen Zeitung" zu einem möglichen Ausscheiden gesagt: "Das wäre eine Enttäuschung." Das Überwintern im internationalen Geschäft sei das klare Ziel.

Doch auch Timo Werner sagte nach der Pleite mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick: "Wenn es in der Euro League nicht sein soll, ist es schade, aber auch nicht schlimm." Wie es in dem Stürmer, der zwei Großchancen vergab (44./77.), tatsächlich aussieht, hatte man zuvor auf dem Platz gesehen, als er Salzburgs Torhüter Alexander Walke den Mittelfinger gezeigt hatte, "weil er mich vorher angeguckt hatte", wie Werner bei DAZN zu erklären versuchte. Das passte zu Leipzigs gereiztem Auftritt.

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