Friday, 3rd May 2024
3 Mai 2024

Bauernopfer im Real-Zerfall: Lopetegui scheitert am Kamikaze-Befehl

Lopetegui hat den Ausgang aus dem „Todeskorridor“ bei Real Madrid nicht gefunden.

Ein Kommentar von Judith Günther


Julien Lopetegui hat in diesem Sommer einen Job angenommen, bei dem er nur verlieren konnte. Nach gerade einmal 14 Pflichtspielen muss der Fußballtrainer von Real Madrid gehen. Es bleibt die Frage: Warum hat er sich das angetan?

Hätte Julen Lopetegui wissen müssen, dass er sich bei Real Madrid auf einen Höllenritt einlässt? Natürlich. Es hat ihn aber nicht davon abgehalten, in diesem Sommer völlig ohne Not eine Arbeitsstelle anzutreten, die als größtes Himmelfahrtskommando im europäischen Fußball bezeichnet werden kann. Zinedine Zidane zu beerben, nachdem der gerade zum dritten Mal in Folge die Champions League gewonnen hat, ist grundsätzlich eine eher schlechte Idee. Lopetegui hat in nur zweieinhalb Monaten gezeigt, dass es sogar eine miserable war.

Real steckt in einer Krise, die die Ausmaße eines epochalen Bebens angenommen hat. Der Clásico gegen den FC Barcelona? Eine 1:5-Demütigung, die der madrilenischen Seele noch lange Schmerzen bereiten wird. Das 2:1 in der Champions League gegen Viktoria Pilsen unter der Woche? Taugte ebenfalls nicht, Lopetegui aus dem "Todeskorridor" zu ziehen, in dem die "AS" ihn seit Wochen wähnt. Nun hat der Klub die Notbremse gezogen und ihn entlassen. Nach gerade einmal 14 Pflichtspielen übernimmt interimsmäßig der Ex-Real-Profi Santiago Solari, für die dauerhafte Nachfolge ist der Italiener Antonio Conte im Gespräch.

Zwar ist die Schuld am Zerfall der Königlichen nicht exklusiv bei Lopetegui zu suchen. Dennoch hat letztlich er den Absturz auf Platz neun in der heimischen Liga zu verantworten. Der Trainer ist seit seinem Amtsantritt in so ziemlich jeder Hinsicht denkbar krachend gescheitert, in der man scheitern kann. Die persönliche Bruchlandung wiegt schwer, die Ägide Lopetegui bringt so gut wie ausschließlich Verlierer hervor.

Rauswurf war unvermeidlich

Mit WM-Beginn wurde Lopetegui gefeuert – und Spanien schied im Achtelfinale aus.

Wäre da nicht das selbstverantwortete Schmierentheater um seinen Rauswurf als spanischer Nationaltrainer unmittelbar vor der Weltmeisterschaft in Russland, Lopetegui könnte einem beinahe leidtun. Nochmal zur Erinnerung: Der Trainer, den bis dahin kaum einer kannte, hatte bis zur WM einen interessanten und sicher nicht schlecht bezahlten Job beim spanischen Fußballverband. Nicht wenige haben der Furia Roja zugetraut, um den Titel mitzuspielen. Dass er dann Tage vor Turnierstart durch einen Alleingang Madrids als Nachfolger des zurückgetretenen Zidanes präsentiert wurde, machte seinen Rauswurf unausweichlich. Warum aber hat er sich das angetan?

Schon unter normalen Bedingungen ist es undankbar, einen Verein zu übernehmen, der in drei Jahren dreimal die Champions League und einen nationalen Meistertitel gewonnen hat. Alles was danach kommt, kann nur schlechter werden. Es ist ein Dilemma, das die Königlichen in ganz besonderem Maße trifft. Einerseits weiß jeder, dass die beispiellose Ära der Dominanz in Europa nicht beliebig zu verlängern, gar zu übertreffen ist. Andererseits wird der Trainer trotzdem daran gemessen. Das ist nicht fair. Aber wer wie Lopetegui oben mitspielen will, muss die Regeln akzeptieren.

Hinzu kommt, dass die Situation beim Verein eben nicht normal ist. Die Mannschaft hat ihren Zenit überschritten, den Neustart verschlafen. Ein Fehler, der unter Zidane noch kaschiert wurde. Im Schnitt steht eine Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 26,5 Jahren auf dem Platz. Was nicht dramatisch ist, doch vor allem Schlüsselspieler wie Sergio Ramos (32 Jahre), Marcelo (30) oder Luka Modric (33) sind in die Jahre gekommen. Dass die Routiniers zudem vom eigenen Erfolg gesättigt sind – daraus kann man ihnen nicht mal einen Vorwurf machen.

Real-Offensive lahmt

Die Vereinsführung selbst hätte den sich abzeichnenden Zerfall erahnen können, ja sogar müssen. Doch sämtliche Warnzeichen wurden ignoriert. Schon in der vergangenen Saison war Real nicht mehr so unantastbar wie in früheren Jahren. Vielleicht jedoch am bedeutsamsten: Real verfügte mit Cristiano Ronaldo über einen Stürmer, der allein in der Champions League 15 Mal traf. Und der nun als einziger neben Zidane als Gewinner dasteht. Weil er erkannt hat, dass er nur verlieren kann, wenn er bleibt. Sich am eigenen Superlativ messen zu lassen, geht nicht ewig gut, der Wechsel zu Juventus Turin war die Konsequenz. Dass Pérez anschließend darauf verzichtete, einen Nachfolger zu holen, bringt den Präsidenten zurecht in die Kritik. Oder hat irgendwer geglaubt, dass ein Gareth Bale oder Karim Benzema bei all ihrer Qualität plötzlich die Antwort auf Reals Sturmprobleme sind?

All das muss Lopetegui gewusst haben, er hat den Job trotzdem angenommen. Ob er unter falschen Vorzeichen gelockt wurde? Ihm ein sanfter Neuaufbau mit frischen Kräften in Aussicht gestellt wurde? Man weiß es nicht. Klar ist dagegen: Er steht nun als Bauernopfer eines Vereins da, der dem eigenen Zerfall bisweilen hilflos gegenübersteht.

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