Friday, 17th May 2024
17 Mai 2024

Klima oder Kohle: Eskalation im rheinischen Revier

In der rheinischen Braunkohleregion ist die Stimmung aufgewühlt. Müssen jetzt noch Dörfer abgebaggert werden? Und was ist mit den Jobs? Anschläge, Drohungen und Hetze im Netz heizen die Gemüter auf.

Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster im Oktober die geplanten Rodungen im Hambacher Forst gestoppt hatte, feindeten Bergleute des Tagebaus die Umweltschützerin Antje Grothus massiv an. Grothus ist Mitglied in der Kohlekommission der Bundesregierung und vertritt dort die Interessen der vom Bergbau betroffenen Menschen. Sie lebt am Rand des Tagebaus Hambach und engagiert sich in der Bürgerinitiative Buirer für Buir. Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) verunglimpften und bedrohten Grothus bei einer Protestaktion gegen den Kohleausstieg.

„Bei einem Dorfspaziergang im Keyenberg trugen Betriebsratsvorsitzende von RWE und Mitglieder der IG BCE ein Plakat mit meinem Konterfei, meinem Namen und dem Zusatz ‚Der Arbeitnehmerfeind Nr. 1‘ bis die Polizei einschritt und die Plakate eingepackt werden mussten“, erzählt sie.

Wenige Tage später, Mitte Oktober, folgte ein Aufzug von rund 200 Personen vor Grothus Privathaus, organisiert von der IG BCE. Vor dem Haus blieben die Gewerkschafter und RWE-Mitarbeiter mehre Minuten stehen, trommelten, pfiffen, klingelten an der Tür und riefen „Grothus raus“ und „Hambi muss weg“.

RWE-Betriebsrat Walter Butterweck mit Plakat in Keyenberg

„Da haben sich die Kollegen mal Luft machen wollen“, beschreibt Versammlungsleiter Walter Butterweck gegenüber der Deutschen Welle die Situation. Er ist Betriebsratsvorsitzender von RWE in Köln, Mitglied der Gewerkschaft IG BCE und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von RWE.

Butterweck rechtfertigt vor der DW seine Aktionen. Antje Grothus und Michael Zobel, der Sonntagsspaziergänge in den Hambacher Wald und in vom Tagebau bedrohten Dörfer organisiert, bezeichnet er als „unsere Feinde. Die wollen unsere Arbeitsplätze wegradieren“.

Sündenböcke und Todesdrohung

Die Empörung über die Aktionen ist auch unter den eigenen Gewerkschaftsvertretern groß. „IG BCE hält diese Form der Auseinandersetzung für falsch und distanziert sich von persönlichen Anfeindungen. Protest muss aller Job-Sorgen zum Trotz angemessen bleiben“, twittert die Gewerkschaftszentrale kurz nach der Demonstration vor Grothus Haus. Auch der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis, ebenfalls Mitglied in der Kohlekommission, distanziert und entschuldigt sich bei Grothus für das Vorgehen seiner Mitglieder.

Für die Buirer Bürgerinitiative sind diese Aktionen indes nur eine weitere Stufe einer längeren Eskalation. „Der RWE-Betriebsratsvorsitzende hetzt schon seit Jahren gegen uns im Internet. Auf schlimmste Art und Weise stachelt er seine Mitarbeiter gegen uns auf“, sagt Grothus.

Andreas Büttgen, ebenfalls Mitglied der Bürgerinitiative, hält diese verbalen Attacken und Verunglimpfungen für äußerst gefährlich. „Da werden die von Kohlebergbau Betroffenen zu Sündenböcken gemacht, Feindbilder geschaffen, und so wird die Wut kanalisiert.“

Brandstiftung: Das sogenannte Bündnismobil des bürgerlichen Braunkohleprotests

Die Bürgerinitiative fordert einen respektvollen Umgang ohne verbale Eskalationen. Büttgen wurde Anfang Oktober am späten Abend per Telefon bedroht. „Ich werde Sie töten“, sagte der Anrufer. Die Polizei hat den Staatsschutz eingeschaltet, der nun ermittelt. Ebenso ermittelt die Polizei, weil Fahrzeuge der Bürgerinitiative vor zwei Monaten angezündet worden waren.

Verletzte Gefühle – Gewerkschafter ringen um den Kurs

Die Stimmung unter den RWE-Beschäftigen im Braunkohlesektor „ist leicht angespannt“, sagt Butterweck. Es gebe Verunsicherungen. Einen Fall ins Bodenlose befürchtet er bei einem vorzeitigen Kohleausstieg nicht. „Ich vertraue unserer Gewerkschaft, aber auch unserem Arbeitgeber. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann gibt es sozialverträgliche Lösungen.“ Und zumindest um seine älteren Kollegen mache er sich „weniger Sorgen“. Viele müssten ohnehin in ein paar Jahren regulär in Rente gehen.

Butterweck ist nicht gegen das Klimaabkommen von Paris. Wie die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad mit dem Weiterbetrieb von Braunkohlestrom noch vereinbar sein soll, weiß er nicht. Die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels habe für ihn aber auch nicht die „oberste Priorität“.

Butterweck beschreibt eine verletzte Gefühlslage unter den Mitarbeitern. „Man redet uns ein absolut schlechtes Gewissen ein. Wir sind schuld, dass die Temperaturen weltweit ansteigen.“

Er empfindet es als ungerecht, dass andere Länder dagegen noch weiter ihre CO2-Emissionen steigern wollen. Auch in Deutschland passiere in anderen Sektoren beim Klimaschutz nichts, beim Verkehr und Gebäuden. Und er beklagt, dass die Öffentlichkeit mit zweierlei Maß messe: „Alle wollen Kreuzfahrten machen und zweimal [im Jahr] in den Urlaub fliegen. Das packt keiner an und das Kerosin ist noch immer steuerfrei.“

Denkmuster werden erschüttert: Die junge Klimabewegung will nicht mehr warten.

Bei einigen Gewerkschaftsmitgliedern kommt die Verunglimpfung von Grothus und Zobel als Arbeitnehmerfeinde nicht gut an. Sie als Sündenböcke hinzustellen lenke von den „eigentlich Ursachen des Konflikts in unserem Wirtschaftssystem und einer verfehlten Klimapolitik und Unternehmensführung ab“, heißt es in einer Stellungnahme der Initiative Gewerkschaften für Klimaschutz.

Klimagewerkschafter „sind nicht gegen die RWE-Mitarbeiter*innen, sondern für den Klimaschutz, der uns alle betrifft“, heißt es auch in einer Stellungnahme der Gewerkschaft Ver.di nach der großen Protestaktion von Tagebaubeschäftigten, bei dem Demonstranten auch ein Hetzplakat gegen Klimaaktivisten im Hambacher Forst gezeigt hatten.

Eskalation bei Facebook 

Ende Oktober brannten in der Braunkohleregion in der Gemeinde Titz vier abgestellte Busse in der Nacht aus. Wer sie angezündet hat, ist nicht klar. Die Polizei hofft auf baldige Ermittlungsergebnisse: „Solange wir die nicht haben, werden wir vorschnell auch keine Schlüsse ziehen“, sagt Pressesprecher Andreas Müller von der Aachener Polizei gegenüber der Deutschen Welle.

Vier Busse im Revier in Flammen. Wer steckt dahinter? Für einige RWE-Mitarbeiter stehen die Schuldigen schnell fest.

In den sozialen Netzwerken kursieren dagegen schon kurz nach dem Feuer die ersten Spekulation. Die Busse brannten „wahrscheinlich, weil sie uns am Mittwoch zur Demo gefahren haben“, schreibt ein RWE Mitarbeiter auf der von Bergleuten aufgebauten Facebookseite „wir im Rheinischen Revier für eine faire Berichterstattung“. Die Feuerwehr gibt ihre Meldung zu dem Brand erst eine gute Stunde später heraus.

Schockiert über die voreiligen Schuldzuweisungen im Netz zeigt sich Patricia Peill, CDU-Landtagsabgeordnete aus der Tagebauregion. „In diesen sozialen Medien geht es nicht um Sachdiskussion und Dialog, das ist kaum händelbar und erschreckend“, sagte Peill gegenüber der DW.

Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in NRW, beobachtet die sozialen Medien um den Kohleausstieg und den Streit um den Hambacher Forst schon seit Jahren. Er klagt über unsachliche Kommentare und Hetze auf beiden Seiten. „Gestern gab es erst wieder einen Post im Netz gegen uns und mich, ‘lass uns das Ding abfackeln‘. Gemeint ist damit unser Büro vom BUND.“

Jansen beobachtet seit dem gerichtlich verhängten Rodungsverbot im Hambacher Wald auf den Pro-Kohle-Seiten eine starke Zunahme der verbalen Attacken und auch Aufrufe zur Gewalt. Auf der Facebookseite „Wir Vereine im Rheinischen Revier- für die Zukunft“ waren neben der Diskussion um Kohle, Klima und die Zukunft des Hambacher Waldes auch Kommentare zu finden wie „Jetzt ab in den Forst und dann drauf auf das nutzlose Pack“, „Brandrodung! Dann läuft das Gesindel!“, „Wie wär es mal mit bewaffnen“, „Es wird wohl mal Zeit, das ganze selbst in die Hand zu nehmen“ und „der Krieg hat begonnen“. 

Dialog statt Konfrontation: Klaus Emmerich vom RWE Betriebsrat spricht vor Kritikern in Keyenberg über seine Sorgen.

Im Schatten der Anonymität wird gehetzt und werden Grenzen überschritten. „Da lassen viele ihren Müll los. Das ist einfach, da will ich für den einen oder anderen Beschäftigen nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen“, sagt Butterweck, der selbst an der Facebookseite beteiligt ist. Doch wenn einzelne Teilnehmer in den Foren zu weit gehen, sagt er, schreiten die Moderatoren ein: „Dann werden die Leute rausgeschmissen, dann werden die gelöscht oder gesperrt, das wollen wir uns nicht erlauben“.

Aufruf zur Befriedung

Auch von der Polizei werden die sozialen Medien rund um Klima, Kohle und Hambacher Frost mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Das Phänomen sich „im Wort zu vergreifen“ sei in sozialen Medien nicht unbekannt, sagt Polizeisprecher Müller. Im Zusammenhang mit der Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen habe es immer mehr zugenommen.

Beleidigungen und üble Nachrede könnten bei der Polizei auch Online angezeigt werden. Müller appelliert im Netz und auch im direkten Gespräch, Diskussionen sachlich zu führen: „Man muss nicht Leute beleidigen mit übler Nachrede oder mit irgendwelchen aufhetzenden und belastenden Texten.“

Büttgen appelliert an die Landespolitik in der Region, diesbezüglich aktiv zu werden und zu deeskalieren. „Der sich immer stärker zuspitzende Konflikt um die Kohle braucht dringend eine Befriedung. Die Gräben werden täglich immer tiefer und es drohen handfeste Auseinandersetzungen zwischen den Lagern, weil sich viele Menschen mit ihren Sorgen und Nöten allein gelassen fühlen.“

Büttgen empfiehlt einen breit angelegten Mediationsprozess in den Dörfern im Revier. „Dies hätte die große Chance, Menschen zu versöhnen und Zukunftsperspektiven durch einen Strukturwandel, bei dem alle gemeinsam anpacken, zu ermöglichen.“


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Der Kampf für den Wald

    Ginge es nach dem Stromkonzern RWE, soll auch der letzte Rest des Hambacher Forstes dem Braunkohleabbau weichen. Zur Zeit darf zwar nicht mehr gerodet werden, aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Die Klima-Allianz Deutschland hatte deshalb Prominente aufgerufen, sich für den Erhalt des Waldes einzusetzen. Ihre Portraits (hier: Fernsehköchin Sarah Wiener) hängen symbolisch an den Bäumen.


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Für Klimaschutz: Schauspieler Benno Fürmann

    Zur Zeit ist Benno Fürmann in der TV-Serie „Babylon Berlin“ zu sehen. Der Schauspieler kämpft öffentlich für den Klimaschutz: „Der Klimawandel stellt bereits jetzt eine große Belastung dar – insbesondere für die ärmsten Menschen im globalen Süden. Die Politik ist es den Menschen hier und weltweit schuldig, die Gefahr ernst zu nehmen und endlich zu handeln.“


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Ihm geht es ums Ganze: Bodo Wartke, Musikkabarettist und Liedermacher

    „Als ich im Sommer vor Ort war und mit den AktivistInnen gesprochen habe, war mir sofort klar: Dieser Wald ist ein Wald mit Symbolgehalt. Hier geht es nicht allein um Bäume, es geht ums große Ganze“, sagt der Kabarettist Bodo Wartke.


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Kämpft für Frauenrechte: Monika Hauser, Ärztin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises

    „Der Wald ist erst der Anfang. Tausende Menschen werden gezwungen, für Tagebaue ihr Zuhause aufzugeben, über Jahrhunderte gewachsene Dorfgemeinschaften werden zerstört. Für die Bewohnerinnen und Bewohner sind diese Umsiedlungen sehr belastend, auch psychisch. Man fragt sich schon, warum das alles noch sein muss – jetzt, wo der Kohleausstieg kommt.“


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Umweltfreundliches Licht: Der Künstler Olafur Eliasson gründete „Little Sun“

    Seit 2012 kümmert sich „Little Sun“ darum, Menschen ohne Stromversorgung mit Energie zu beliefern. „Wenn Deutschland es mit der Nachhaltigkeit ernst meint, muss es aufhören, Braunkohle – den umweltschädlichsten fossilen Brennstoff – abzubauen. Mehr als 12.000 Jahre hat der Hambacher Forst für sein heutiges Aussehen gebraucht. Wenn er weg ist, ist er weg. Die Energiewende muss jetzt erfolgen.“


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Gegen Kohle als Klimakiller: Johannes Strate von der Band „Revolverheld“

    „Der Energiekonzern RWE würde einen der artenreichsten Wälder dieses Landes zerstören, um (…) seine Kraftwerke mit Deutschlands Klimakiller Nummer 1, der Braunkohle, füttern zu können. Dabei haben (…) Dürren und Starkregen gezeigt, dass gehandelt werden muss (…). In Deutschland bedeutet das: die dreckigsten Kohlemeiler jetzt abschalten (…) und die erneuerbaren Energien weiter ausbauen!“


  • Prominente setzen Zeichen für den Hambacher Forst

    Der „Waldmacher“: Tony Rinaudo, Agrarökonom und Träger des Alternativen Nobelpreises 2018

    Rinaudo verwandelt karge Landschaften in Wälder und Ackerland: „Wälder können von großer Bedeutung für die Gesundheit sein, sie versorgen uns mit sauberer Luft und sauberem Wasser, sie können uns vor Hochwasser schützen und bieten Vögeln und Insekten eine Heimat. Wie wir heute mit unseren Wäldern umgehen ist entscheidend für die Frage, ob zukünftige Generationen ein gutes Leben haben werden.“

    Autorin/Autor: Gaby Reucher


By:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert