Friday, 29th March 2024
29 März 2024

Held für eine Nacht

Am Schauspielhaus Hamburg wird David Bowies Musical „Lazarus“ zu neuem Leben erweckt. Darin ist auch Bowie selbst wieder da in Gestalt von Alexander Scheer. Bis zur nächsten Wiederauferstehung. 0

David Bowie wird nach der jüngsten Premiere seines Musicals „Lazarus“ im Schauspielhaus in Hamburg nicht im Grabe rotieren. Alexander Scheer macht seine Sache als Apologet und Interpret erstaunlich gut, Regisseur Falk Richter erfüllt alle Erwartungen: Irgendwas flackert immer über die Bühne, nicht nur akustisch. Andererseits ist klar: Für diese Inszenierung wird Bowie so wenig auferstehen – und sich ein Raumschiff nach Hamburg nehmen – wie in ihr. Sie hebt nicht ab.

Das mag, der Verdacht verdichtet sich, trotz des Treibstoffs von 17 Bowie-Songs am Musical selbst liegen, dass der sterbende Sänger gemeinsam mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh konzipierte. Der Superstar des experimentellen Rock erlag nur wenige Wochen nach der Uraufführung als prominentester Englishman in New York 2015 dem Leberkrebs. Das nonlineare Musical dreht sich traumfängerkreisrund um einen Alien, der nicht abheben, in den Himmel zurückkehren, nicht sterben kann.

Die Story spinnt eine alte Geschichte weiter. 1976 spielte Bowie, rothaarig, weißhäutig, kultig, im Film „The Man Who Fell to Earth“ von Nicolas Roeg nach dem bereits 1963 erschienenen Roman von Walter Tevis den Außerirdischen Thomas Jerome Newton. Der schlägt auf der Suche nach Wasser für seinen verdorrenden Heimatplaneten auf der Erde auf. Newton wird die Rückkehr verweigert, die Rakete, die er baut, kann nicht abheben. So verfällt er, reich geworden durch technische Patente, dem Sex und dem Alkohol. Als seine Geliebte Mary Lou ihn verlässt, bleibt ihm nur noch der Gin. Und der Versuch, alieneske Botschaften per Radio ins All zu senden.

Bowie spinnt die Geschichte im Musical „Lazarus“ weiter, nutzt die Kultfigur – über die er später sagte, er habe sie nicht spielen müssen, sondern sei seinerzeit nicht von dieser Welt gewesen – als Alter Ego für sein künstlerisches Vermächtnis, für eine letzte Botschaft mit dem dunklen Album „Blackstar“, das zwei Tage vor seinem Tod erschien. Im Videoclip zur Singleauskoppelung „Lazarus“ singt David Bowie im Sterbebett als ganzkörperverbandsumhüllte Mumie mit aufgelegten Druckknopfaugen sein Vermächtnis: „Look up here, I’m in heaven/ I’ve got scars that can’t be seen/ I’ve got drama, can’t be stolen/ Everybody knows me now.“

Die deutsche Auferstehungsserie Bowies als Newton begann im März dieses Jahres in Düsseldorf am Schauspielhaus. Matthias Hartmann, nach seiner Zeit als Alien am Burgtheater als freier deutscher Regisseur auferstanden, legte eine bejubelte Nummernrevue mit dem norwegischen Performer Hans Petter Melø Dahl von der belgischen Needcompany in der Hauptrolle vor.

Eine Differenzanalyse zwischen Düsseldorf und Hamburg bringt einen kleinen Verständnisschub. Das am nächsten liegende Bühnenbild, eine mächtige Schrottrakete, in der Newton haust, war der deutschen Erstaufführung vorbehalten und für Hamburg damit verbrannt. Katrin Hoffmann löst das Problem mit einer technikdurchsetzten, außerirdischen Felsenlandschaft schlüssig. Die Vegetation wahlweise weißer, roter oder kahler Bäume mutet an wie aus verschiedenen Star-Trek-Filmen zusammengepflanzt.

David Bowies Privatsammlung begeistert bei Auktion Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Die Erlöse bei der Auktion von David Bowies Kunstsammlung haben alle Erwartungen weit übertroffen. Allein das Gemälde „Air Power“ des amerikanischen Künstlers Basquiat brachte acht Millionen Euro.

Der Garten Jenseits von Eden könnte Newtons Fantasie entsprungen sein. Ein bläulich unwirklich leuchtender Steg durchschneidet bis Reihe zehn das Parkett wie ein Blitzeinschlag. Auf ihm liegt der sterbende, immer noch jung wirkende Alien auf einem durchsichtigen Plastiksessel. Alexander Scheer ist als Newton schon nicht mehr ganz von dieser Welt, moribund kippt er Gin um Gin aus der Felsenbar rechts vom Massiv auf der Hauptbühne.

Das ist die zweite entscheidende Differenz zu Düsseldorf: Dahl erlaubt seinem Bowie ein stimmliches Pathos, das zwar die Performance belebt, aber vom Original deutlich abrückt. Scheer hingegen hat Bowie perfekt studiert. Und er kriegt das hin, diese Distanz, Verzweiflung, Gefasstheit, Größe. Nur eben mit der Stimme von Alexander Scheer. Der singt zwar auch toll, und sein Charisma reicht für den Saal des Schauspielhauses, aber dem Gesang fehlt der Nachdruck, die Größe und die monströse Exaktheit Bowies. Das alte Leiden der Jukebox-Musicals – hier steht eben nicht das Original auf der Bühne. Dennoch ist es ein reines Vergnügen, den Schauspieler Scheer bei der Arbeit zu erleben.

Die acht als „The No Plans“ auftretenden Livemusiker machen ihrem Namen leider Ehre und bleiben trotz ehrlicher Bemühungen Lichtjahre vom Sound Bowies entfernt. Der musikalische Leiter Alain Croubalian, als Gitarrist dabei, hat gemeinsam mit dem Ton eine bleibende Aufgabe, auch wenn die Performance besser gelingt als bei üblichen, traurigen Staatstheaterkapellen.

Dafür lässt Regisseur Richter in Hamburg die Felsen glühen: TV-Nachrichtenschnipsel von der Tagesschau bis zu CNN durch die Jahrzehnte der Bowie-Biografie beherrschen das Bühnenbild. Immer weiter zersplittert der Screen, von vier auf 16 Bilder, in denen amerikanische Präsidenten, deutsche Politiker und zuletzt Bilder der G-20-Ausschreitungen aus dem Hamburger Schanzenviertel vom Gipfel 2017 um Aufmerksamkeit wetteifern, wobei nur Satzfetzen der Weg ans Ohr gelingt.

Scheer wird von einem starken Ensemble getragen. Die Figuren verkörpern die inneren Spannungen des sterbenden Newton. Tilman Strauß mordet sich umwerfend als schillernde Figur Valentine, zwischen Mephisto und Thanatos, durch Newtons Freundeskreis in seine Nähe. Er reicht dem Alien auch das Messer – leider kein Bowie-Messer, mit dem der das Mädchen (Gala Othero Winter) ersticht, das für Eros und Hoffnung steht. Auch als Sängerin stark, wirft sich Julia Wieninger in der Rolle der Assistentin Elly Newton an den Hals.

Dialoge und Wehmutssätze füllen schlagwortartig („Ich will zurück zu den Sternen“) die Räume zwischen den Songs, unter ihnen die Megahits „Absolute Beginners“, „This is not America“, „Changes“, „Love is Lost“. Der Rest ist Staffage, drei Teenage Girls turnen tanzend über Bühne und Felsen, mal als Außerirdische, mal in Totenmasken. Zum Finale, leider dem einzig bewegenden Moment des Abends, singen Scheer und Winter im Duett „Heroes“ auf der Felsenspitze. Das ist der Höhepunkt. Licht aus. Bis zur nächsten Wiedergeburt.

Termine: 19. November, 1. und 2. Dezember

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