Thursday, 28th March 2024
28 März 2024

Plakate am Smartboard

Der Digitalpakt für die Schulen soll kommen. Doch Pädagogen bezweifeln, dass er den Unterricht entscheidend voranbringen wird.

Aus besseren Zeiten. Die iPad-Schüler des Gymnasiums Würselen kommen demnächst in die Oberstufe. Dort wächst der Jahrgang und…

Das Gymnasium Würselen ist in Sachen digitale Bildung eigentlich eine Vorzeigeschule. Seit drei Jahren werden dort Schüler in einer iPad-Klasse unterrichtet, für jedes Fach entwickelten die beteiligten Lehrer eigene pädagogische Konzepte. Um nicht allen Kolleginnen und Kollegen die neuen Anforderungen aufzuzwingen, wird zunächst nur in einer Klasse getestet, was funktioniert und was nicht. Das Gymnasium erhielt mehrere Preise für sein Engagement, im vergangenen Jahr sogar von der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka. „Und die Kinder wollen sowieso nichts anderes mehr“, sagt Frajo Ligmann, der Koordinator des Projektes.

Doch trotz aller Erfolge müssen die Würselener darum bangen, ihre Tabletklasse fortführen zu können. Der Grund: Die Schüler, die einst – freiwillig – in der 7. Klasse mit den iPads starteten, kommen nach dem Sommer in die gymnasiale Oberstufe. Dort wird die Klasse mit 50 anderen Schülern fusioniert, die bislang ganz konventionell aus Büchern lernen. Diese müssten jetzt auch alle mit den Geräten ausgestattet werden, wollte man das Vorhaben fortführen. Unterricht mit dem Tablet funktioniere schließlich nur, wenn auch alle eins haben, sagt Ligmann.

Doch unter den hinzukommenden Schülern gebe es welche mit finanzschwachen Eltern und anderen Eltern, die schlicht Medienverweigerer sind. „Die können wir nicht zwingen, die Geräte anzuschaffen.“ Der kommunale Schulträger hat ohnehin kein Geld für eine komplette Ausstattung, das Land ebenso wenig, vom Bund kommt auch keins.

Der Digitalisierungspakt könnte die Schulen auch noch weiter zurückwerfen

Selbst ein vielversprechendes Pilotvorhaben könnte also daran scheitern, dass für 50 zusätzliche Geräte einfach das Geld fehlt. Das steht sinnbildlich dafür, wie schwer sich Deutschland mit der digitalen Bildung tut. Ändern sollte sich das eigentlich mit dem Digitalpakt für die Schulen, den Ministerin Wanka vor zwei Jahren vorschlug: fünf Milliarden Euro, um die Schulen fit für die digitale Zukunft zu machen.

Weil sich Wanka damals aber die Finanzierung nicht beim Finanzminister sichern konnte, hat sich bis heute nichts getan. Es gibt daher sogar Abgeordnete, die meinen, die ehemalige Ministerin habe mit ihrem Vorstoß das Thema Digitalisierung in der Schule eher zurückgeworfen als vorangebracht. „Nach der Ankündigung haben sich selbst engagierte Schulen gesagt: Jetzt machen wir mal lieber nichts und warten auf den Bund“, sagt etwa Saskia Esken, Digitalexpertin der SPD-Bundestagsfraktion.

Jetzt will die große Koalition den Digitalpakt wieder flottmachen, im Koalitionsvertrag ist das Geld dafür jedenfalls vorgesehen. Die neue Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat den Digitalpakt in der „Rheinischen Post“ als „drängendstes Thema“ bezeichnet, das sie noch vor der Sommerpause angehen will. Ob der Pakt in der sich abzeichnenden Form aber überhaupt ausreicht, um die Schulen entscheidend voranzubringen – daran scheiden sich die Geister.

Ein Eckpunktepapier für den Pakt liegt seit Langem vor, auch wenn Bund und Länder die Vereinbarung bis heute nicht unterzeichnet haben. Demnach sollen die Mittel hauptsächlich für den Breitbandanschluss von Schulen und W-Lan in den Gebäuden ausgegeben werden: um also die Schulen überhaupt mit schnellem Internet zu verbinden. Das bestätigt Helmut Holter, Kultusminister in Thüringen und Präsident der Kulturministerkonferenz, auf Anfrage.

Dass in Sachen Breitband und W-Lan Handlungsbedarf besteht, bezweifelt niemand. An vielen Schulen scheitern Schüler und Lehrer schließlich schon daran, überhaupt ins Internet zu kommen. Doch ein Internetanschluss allein macht auch keinen Unterricht. Dem Gymnasium Würselen zum Beispiel würde der Pakt in dieser Form nicht aus seiner aktuellen Notlage helfen. Denn Endgeräte für die Schüler sollen gar nicht finanziert werden. Das hat das BMBF unlängst noch einmal klargestellt.

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Für Endgeräte reicht das Geld sowieso nicht

Saskia Esken hält es schon finanziell für unmöglich, diese bundesweit anzuschaffen. Wenn man die fünf Milliarden Euro auf die 40.000 Schulen in Deutschland herunterbricht, bleiben 120.000 Euro pro Schule übrig: „Das reicht für Endgeräte bei Weitem nicht aus“, sagt Esken. Auch aus Sicht der Kultusministerkonferenz „ist für die Geräteausstattung der Schulträger zuständig“, betont KMK-Präsident Holter.

Die Politik setzt hier auf die oft propagierte Methode „Bring Your Own Device“, sprich: jedes Kind bringt sein Gerät selber mit. Das klingt zunächst bestechend einfach und naheliegend: Wenn ohnehin praktisch jede Schülerin und jeder Schüler über ein Smartphone oder ein Tablet verfügt, kann es auch gleich im Unterricht eingesetzt werden. Esken hält es auch pädagogisch für sinnvoll, dass Kinder und Jugendliche in der Schule dasselbe Gerät nutzen wie privat: „Sonst liegt das Schultablet wie ein Lateinbuch unbeachtet in der Ecke.“

Doch in den Schulen halten das viele für realitätsfern. „Das kann sich nur jemand ausgedacht haben, der noch nie Unterricht gegeben hat“, sagt der Würselener Frajo Ligmann. Das fange schon damit an, dass die Handys der Schüler unterschiedliche Betriebssysteme haben. Manche können dann bestimmte Lern-Apps runterladen, andere nicht. Je nach System würden sich Inhalte unterschiedlich darstellen. Lehrkräfte müssten sich in allen diesen technischen Details auskennen, wenn sie die vorhersehbaren Probleme abstellen wollen – was praktisch nicht zu leisten sei. „Das schreckt 90 Prozent der Lehrkräfte ab“, sagt Ligmann: „Man macht damit mehr kaputt, als dass es etwas bringt.“

So denkt auch Miriam Pech, Rektorin der Heinz-Brandt-Sekundarschule in Berlin-Weißensee: „Lehrer würden stundenlang brauchen, bis sie die Geräte der Kinder auf einen Nenner bekommen.“ Schulen bräuchten daher „Standardrechner und einheitliche Software“. Ihre Schule hat rund hundert Tablets angeschafft, die sich 440 Schülerinnen und Schüler teilen. Dass Familien die Geräte kaufen, sei allenfalls in gut situierten Bezirken denkbar: „Bei uns könnte das höchstens die Hälfte finanziell tragen.“

Familien mit geringem Einkommen können sich bislang Tablets anders als Schulbücher noch nicht einmal durch das Bildungs- und Teilhabepaket finanzieren lassen, selbst wenn die Geräte in der Schule gebraucht werden. Saskia Esken will sich nun bei Arbeitsminister Hubertus Heil, ihrem Parteikollegen, dafür einsetzen, dass das geändert wird.

Was ist mit Digitalwarten?

Miriam Pech vermisst indes eine Gesamtkonzeption für die digitale Neuausrichtung der Schulen, die über die Themen Geräte und Internet hinausgeht. Was ist mit den oft teuren Lizenzen für Lernsoftware? Was mit Datenschutzfragen, wenn Klassenarbeiten online geschrieben werden? Was ist mit logistischen Problemen? Pech bräuchte etwa einen hauptamtlichen „Digitalwart“, der sich um die Ausstattung der Geräte kümmert und diese technisch in Schuss hält: „Man glaubt nicht, wie oft die runterfallen, kaputtgehen, manipuliert oder liegen gelassen werden.“

Und schließlich ist da die pädagogische Komponente, ein „Riesenproblem“, wie Pech sagt. Früher habe sie sich als Schülerin über die Lehrer lustig gemacht, die nicht mit Videorekordern umgehen konnten: „So ergeht es vielen von uns heute bei digitalen Medien.“ Wer denke, der bloße Einsatz eines Computers führe automatisch zu besserem Unterricht, „ist schon dabei zu scheitern“. Es brauche vor allem flächendeckende pädagogische Konzepte, wann und wie der Einsatz von digitalen Medien überhaupt sinnvoll ist.

Den Digitalpakt auf das Technische zu reduzieren und die Pädagogik auszublenden, davor warnt auch Julia Knopf, Deutschdidaktikerin an der Uni des Saarlandes und Leiterin des Forschungsinstituts Bildung Digital: „Dann bleibt das Internet ungenutzt, die Tablets werden rumliegen und am Smartboard-interaktiven Whiteboard hängen Plakate.“

Die Entwicklung didaktischer Konzepte wird auf die Schulen abgewälzt

Zwar soll es dem Eckpunktepapier zufolge auch flankierende Maßnahmen geben: die Entwicklung von Lernpattformen etwa, oder dass nur Schulen gefördert werden, die einen Mediennutzungsplan vorweisen können. Die Länder sollen sich auch verpflichten, genügend Fortbildungen anzubieten. Doch Julia Knopf vermisst eine Diskussion darüber, wie das überhaupt organisiert werden kann.

„Lehrkräfte sind schon jetzt überlastet. Wenn sie die Vermittlung digitaler Medien als weitere zusätzliche zeitliche Belastung empfinden, wird sich das kaum durchsetzen.“ Die Entwicklung mediendidaktischer Konzepte dürfte daher nicht auf die Schulen „abgewälzt“ werden. Fortbildungen müssten online abrufbar sein, damit sich Lehrkräfte die Zeit dafür selber einteilen können – vielleicht auch in einer Freistunde oder von zu Hause aus. Unterschätzen dürfte man den Aufwand dafür jedenfalls nicht, sagt Knopf: „Ein Nachmittag im Halbjahr wird kaum ausreichen.“

Ob all das beim Digitalpakt wirklich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Selbst wenn Bund und Länder jetzt tatsächlich den Pakt wie angekündigt endlich angehen, wird es dennoch dauern, bis das erste Geld fließt. Mitte 2019 dürfte es so weit sein, schätzt KMK-Präsident Holter: „Und dann sind wir auch schon ganz schön schnell.“ Frajo Ligmann hat für seine iPad-Klasse in Würselen derweil einen Spendenaufruf im Internet gestartet – der Ausgang ist offen.

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