Friday, 29th March 2024
29 März 2024

Ein spezieller Pollen-Jahrgang

Die Allergiesaison ist da. Dieses Jahr ist schon jetzt besonders hart. Warum ist das so? Welche Therapie hilft? Und was hat der Klimawandel damit zu tun?

Die Birkenblüte steht unmittelbar bevor. Wie stark die Pollenkonzentration sein wird, hängt vom Wetter ab. Foto: Gregory…

Das Wetter wird wärmer. Und trockener. Bald wird es wieder losgehen, das Schniefen, Schnäuzen, Augenreiben. Bei manchen auch das Ringen nach Atem. Schuld daran sind 20 bis 30 Mikrometer kleine, meist einigermaßen kugelförmige Gebilde, die zu Abermilliarden durch die Luft schweben werden, bevor sie sich auf den Schleimhäuten niederlassen. Derzeit beginnen die Birkenpollen zu fliegen. Sie gelten als extrem aggressive Allergene. Was haben Pollenallergiker in den kommenden Tagen und Wochen zu erwarten? Was sind sinnvolle Therapien? Und welche Rolle spielt der Klimawandel?

Die Pollensaison hat ungewöhnlich früh begonnen. Haselpollen, normalerweise die ersten im Jahr, waren 2018 die letzten. Sie wirbelten schon Ende Dezember von den Bäumen. Im Februar erwachten die Haseln bei steigenden Temperaturen aus ihrer Winterruhe. Die Pollenkonzentration stieg massiv an.

Pollen plus Wetter gleich Allergiker-Vorhersage

„Noch stärker war dieses Jahr die Belastung durch Erlenpollen, von denen hatten wir in Berlin so viele wie noch nie“, sagt Karl-Christian Bergmann, Pneumologe am Allergie-Centrum-Charité und Leiter des Polleninformationsdienstes (PID). Diese Stiftung hat seit 1983 ein Netzwerk aus Pollenfallen aufgebaut.

Aus deren Daten plus Wetterlage erstellt der Deutsche Wetterdienst die Pollenvorhersage. Derzeit sind es 40 aktive Fallen, die auf Dächern angebracht sind. Durch einen kleinen Schlitz wird Luft angesaugt, die im Innern an einem beschichteten Plastikstreifen vorbeigeführt wird. An ihm bleiben die Pollen kleben. Zweimal pro Woche zählen die Mitarbeiter des PID die Pollen unter dem Mikroskop aus und bestimmen sie, ordnen sie also einer Art zu. „Daraus berechnen wir die Pollenkonzentration in der Luft“, sagt Bergmann. Bei der Erle habe man in Berlin Werte von 500 bis 1000 Pollen pro Kubikmeter gemessen. Das war nicht nur mehr, sondern sehr viel mehr als in den Vorjahren.

Alarmstufe Rosa. Die Pollen der Birke messen etwa 20 Mikrometer. Das reicht aber, um recht umfängliche Beschwerden auszulösen.

Seit etwa dem 10. März gab es eine kleine Verschnauf-, beziehungsweise Verschniefpause. Die Blüte der Schwarzerle zieht derzeit Richtung Norden und Osten Europas weiter und auch die Hasel blüht nur noch in Höhenlagen. Dafür steht die Birkenblüte unmittelbar bevor. Wie stark die Pollenkonzentration sein wird, hängt vom Wetter ab. „Wärme, Sonne und leichter Wind“ begünstigen den Flug vieler Birkenpollen, sagt Bergmann. Für viele Menschen ist das dann wiederum sehr ungünstig: Wer schon auf Hasel und Erle stark reagiert hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen wieder echte Probleme bekommen.

„Es gibt fast niemanden, der jetzt reagiert hat und bei der Birke nicht“, sagt der Allergologe Jörg Kleine-Tebbe vom Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin. Die Birke sei für viele Menschen der Sensibilisator – also die Pflanze, gegen die das Immunsystem im Laufe ihres Lebens als Erstes eine Bereitschaft zur allergischen Reaktion aufbaut. Danach werden sie oft sensibel auf Hasel, Erle, Buche und Eiche. Grund dafür ist, dass diese Bäume alle ein ähnliches Hauptallergen haben – die Struktur also, die die Körperabwehr verrückt- spielen lässt.

20 Prozent der Erwachsenen leiden an mindestens einer Allergie

Dieses Hauptallergen der Birke ist ein kleines Eiweiß namens „Bet v 1“, abgeleitet von Betula verrucosa, dem lateinischen Namen der Hängebirke. Die Pflanzen bilden das Protein als Reaktion auf Stress. Obwohl man es schon seit Jahrzehnten kennt, ist seine genaue Funktion noch nicht geklärt. Mittlerweile haben Forscher eine ganze Familie von ähnlichen Strukturen bei anderen Pflanzen gefunden. Kleine-Tebbe selbst entdeckte eine Variante in rohem Soja. Die allergieauslösenden Molekülstrukturen sind hier gleich. Aus diesem Grund kommt es auch zu sogenannten Kreuzallergien, etwa zwischen Pollen und pflanzlichen Lebensmitteln. „Diejenigen mit der häufigsten Form einer Soja-Allergie in Europa sind ausnahmslos Birkenpollenallergiker“, sagt Kleine-Tebbe.

Oft ist Heuschnupfen, etwa durch Birken- oder Gräserpollen, auch nur der Anfang eines sich verschlimmernden lebenslangen Leidensweges. Denn nach ein paar Jahren kann er sich zu Pollenasthma weiterentwickeln. „Etagenwechsel“ heißt das dann im Fachdeutsch, weil die Symptome von den oberen zu den unteren Atemwegen wechseln. Laut Studien passiert das bei etwa jedem dritten Heuschnupfen-Allergiker. „In diesem Jahr sind wegen der starken Pollenbelastung sicher mehr Leute zum Pollenasthmatiker geworden als im Vorjahr“, sagt Bergmann. Das erste Zeichen dafür ist ein trockener Husten, auch Atemnot kann dazukommen. Mit den Pollen verschwänden auch die Symptome wieder, „aber sie kommen im nächsten Jahr wieder und bei vielen Menschen verlängert sich die Zeit, in der sie das Asthma haben.“

Vererbte Anfälligkeit

In Deutschland leiden nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts etwa 20 Prozent der Erwachsenen und 30 Prozent der Kinder unter mindestens einer Allergie. Erwachsene sind mit etwa 15 Prozent am häufigsten von Heuschnupfen betroffen, danach folgt Asthma.

Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat die Häufigkeit von Allergien in westlichen Ländern stark zugenommen, seit etwa zehn Jahren bleibt sie relativ konstant auf diesem hohen Niveau. Forscher wissen recht genau, was im Körper bei einer allergischen Reaktion passiert. Warum es aber bei manchen passiert, bei anderen nicht, ist nicht so klar. Der Entstehungsmechanismus ist komplex und noch nicht genau verstanden.

Klar ist, dass, wer allergische Eltern hat, selbst ein erhöhtes Risiko erbt. Eine Reihe von Genen, die mit der Allergieentstehung in Verbindung zu stehen scheinen, sind bekannt. Aber sie erklären nur einen Teil der Vererbbarkeit. „Der Anteil, der für die Zunahme von Allergien verantwortlich ist, stammt aus der Umwelt“, sagt Kleine-Tebbe. Veränderte Umweltbedingungen können sich auf das Erbgut auswirken, etwa dadurch, dass Gene aktiviert oder auch gehemmt werden. Aktuelle Forschungsergebnisse besagen, dass das Immunsystem früh im Leben mit vielen Keimen in Kontakt kommen sollte. So senkt etwa eine Kindheit auf einem Bauernhof nachweislich die Allergie-Wahrscheinlichkeit. „Aber wir können ja nicht alle auf dem Bauernhof aufwachsen“, sagt Kleine-Tebbe. Deshalb suchen Forscher derzeit nach Keimen, die eine besonders schützende Wirkung haben. Mit ihnen könnte man die Abwehr vielleicht eines Tages gezielt trainieren. Schwangeren könne man schon jetzt raten, sich möglichst normal zu ernähren, ohne bestimmte Lebensmittel zu meiden.

Wen der Heuschnupfen aber schon plagt, dem helfen solche Tipps eher nicht. Viele kommen ohne Medikamente nicht aus. Bei leichtem Heuschnupfen sind Antihistaminika – als Tablette oder Tropfen – die erste Wahl. Sie blockieren die Bindungsstellen des Botenstoffs Histamin und verhindern so Jucken, Augentränen und eine laufende Nase. „Wer sich aber durch den Heuschnupfen im Alltag stärker eingeschränkt fühlt, sollte zu Kortison-Nasensprays greifen“, rät Kleine-Tebbe. Sie seien die wirksamsten Mittel, und bei geringen Dosierungen seien auch keine Wirkungen des Kortisons auf den Rest des Organismus’ zu erwarten, etwa eine dünner werdende Haut oder verminderte Mineralisierung der Knochen.

Seit 2017 sind diese Sprays – weil sie als sicher gelten – rezeptfrei erhältlich. Wenn der Arzt dokumentiert, dass jemand unter anhaltenden Beschwerden leidet, kann er die Arznei auch auf Kosten der Krankenkasse verschreiben. Und jeder Allergiker, der in der Allergiesaison erstmals unter asthmatischen Beschwerden wie Husten oder Schweratmigkeit leidet, sollte rasch zum Arzt gehen. Der könnte dann etwa die Bronchien erweiternde Mittel oder lokal wirksames Kortison gegen die Entzündung verordnen.

All diesen Behandlungen ist eines gemein: Sie bekämpfen nur die Symptome. Die einzige Therapie, die die Ursachen der überschießenden Immunantwort bekämpft, ist die spezifische Immuntherapie (SIT), auch bekannt als Hyposensibilisierung. Mit steigenden Allergen-Dosen versucht man dabei, die Allergiebereitschaft des Körpers zu senken. Klassisch geschieht das per monatlicher Spritze unter die Haut. Für viele Allergene gibt es mittlerweile aber auch die Möglichkeit, sie sich als tägliche Tablette oder Tropfen unter der Zunge zuzuführen. „Wenn man das konsequent drei Jahre macht, erreicht man bei vielen eine Linderung“, sagt Kleine-Tebbe. Das heißt: weniger Symptome, weniger Medikamente. Vor allem aber lässt sich so das Risiko jenes Etagenwechsels hin zum Asthma verringern. SIT kann zudem verhindern, dass die Anzahl der Allergen-Arten, auf die jemand reagiert, weiter zunimmt.

Der Klimawandel verursacht noch stärkere Beschwerden

Zu der Frage, ob die Immuntherapie mit Spritze oder zum Schlucken besser wirkt, ist die Datenlage allerdings noch dünn. Es gibt bislang keine direkten Vergleichsstudien mit vielen Teilnehmern. Außerdem variiert die Dosierung und Wirkung der Therapie je nachdem, ob man gegen Pollen, Hausstaub oder Wespengift allergisch reagiert. Klar ist aber, dass auch diese Behandlung kein Wundermittel ist. So sei es nicht ungewöhnlich, wenn die Wirkung nach Jahren nachlasse und man wieder mehr Medikamente benötige. Trotzdem rät Kleine- Tebbe aufgrund der schützenden Wirkung klar zur Immuntherapie, auch wenn sie etwas aufwendiger ist als die tägliche Antihistaminika-Pille in der Saison. Die Aussicht, ohne ständiges Schniefen, Niesen und Atemnot durch Frühjahr und Sommer zu kommen, dürfte die Mühe wert sein.

Dass der Bedarf dafür steigen dürfte, zeigen nicht nur die schon Anfang dieser Saison besonders starken Beschwerden. Sondern es gibt offenbar einen generellen Trend, begründet auch im Klimawandel. Durch den Anstieg der Durchschnittstemperaturen werden Baumpollen voraussichtlich immer früher im Jahr fliegen – und Kräuterpollen bis in den Spätherbst. Diese „Spreizung“ dürfte die Leidenszeit für viele Pollenallergiker verlängern. Außerdem verbreiten sich zunehmend eigentlich nicht in Deutschland heimische Pflanzen, etwa die Beifuß-Ambrosie. Sie blüht vom Spätsommer bis in den Oktober hinein.

Mehr Kohlenstoff für die Pollen

Zudem ist das den Klimawandel mit auslösende Mehr an CO2 in der Luft offenbar ein die Pollenproduktion begünstigender Dünger. Pflanzen scheinen mit dessen Hilfe mehr Pollen produzieren zu können. Der US-amerikanische Pflanzenphysiologe Lewis Ziska etwa untersuchte zwei gleich große Versuchsfelder mit Beifuß, eines davon im ländlichen Baltimore und eines nur wenige Kilometer entfernt im Stadtgebiet. In der Stadt war die CO2-Konzentration etwa 30 Prozent höher als auf dem Land. Bei den Stadtpflanzen beobachteten die Forscher einen Anstieg der Pollenproduktion auf fast das Dreifache. Und auch die Pollen an sich könnten sich durch den Klimawandel verändern. So gibt es Hinweise darauf, dass pro Pollen die Menge an allergieauslösenden Eiweißen steigt.

Eine wichtige Rolle könnten auch Luftschadstoffe wie Ozon und Feinstaub spielen. Vorgeschädigte Schleimhäute – etwa bei Asthma – scheinen bei höheren Feinstaubwerten zu stärkeren allergischen Reaktionen zu neigen als bei sauberer Luft. Insgesamt deuten die Daten darauf hin, dass mit Klimawandel und Umweltverschmutzung Allergien häufiger werden und schwerer verlaufen könnten.

Betroffene können sich unter www.allergieinformationsdienst.de und www.pollenstiftung.de informieren

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