Thursday, 25th April 2024
25 April 2024

RAG-Stiftung: Die Kohle geht – die Lasten bleiben

Vor Weihnachten schließen die letzten beiden Zechen. Was bleibt, das sind Ewigkeitsaufgaben, die die RAG-Stiftung übernimmt. Die dabei anfallenden Kosten betragen jährlich über 220 Millionen Euro.

Wenn vor Weihnachten der „Deckel auf den Pütt“ des Bergwerks Ibbenbüren und der Zeche Prosper Haniel in Bottrop kommt, dann endet ein bedeutendes Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte. Mit der Schließung der letzten beiden verbliebenen Zechen verabschiedet sich Deutschland vom Steinkohlenbergbau. In den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg förderten über 600.000 Kumpel Kohle zu Tage. Nun ist auch für die letzten 3500 Schicht im Schacht. Was bleibt, das sind die Spuren, die der Bergbau hinterlassen hat. Sogenannte Ewigkeitslasten, die jährlich über 220 Millionen Euro kosten. Diese Aufgabe fällt im Rahmen des sogenannten Nachbergbaus der RAG-Stiftung zu.

Die Stiftung wurde im Juni 2007 mit einem Grundkapital von zwei Millionen Euro gegründet, um die Abwicklung des von Subventionen getragenen deutschen Steinkohlebergbaus zu sichern. Der für die Kohleförderung verantwortliche Konzern RAG (ehemals Ruhrkohle AG) ist heute eine 100-prozentige Tochter der RAG-Stiftung.

Arbeit 1250 Meter unter Tage: Einer der härtesten Jobs, dem es gibt.

 

Seit Mai amtiert Bernd Tönjes als Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung mit Sitz auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zeche Zollverein in Essen. Für Tönjes, der zuvor lange Jahre Chef des Zechenkonzerns RAG war, ist wenigstens eines tröstlich: „dass man diesen Weg sozial verträglich, ohne betriebsbedingte Kündigungen, ohne soziale Umbrüche in den Regionen beschreiten kann.“ Ungeachtet dessen muss die RAG-Stiftung vom kommenden Jahr an viel Geld in die Hand nehmen, um drohende Folgeschäden abzuwenden. Damit Regionen um ehemalige Zechen sprichwörtlich nicht absaufen, muss das  Grubenwasser in den Schachtanlagen kontinuierlich abgepumpt werden. Hinzu kommen die Polderwasserhaltung über Tage sowie  die Reinigung von Grundwasser.

18 Milliarden Euro auf der hohen Kante

Im Jahr 2007, als das Aus für die Steinkohle beschlossen wurde, veranschlagte man diese Ewigkeitskosten auf jährlich rund 220 Millionen Euro. Doch durch Preiseffekte in den vergangenen Jahren geht Tönjes davon aus, „dass sich die Kosten erhöhe“. Ob möglicherweise auf bis zu 250 Millionen Euro, das kann der RAG-Stiftungschef derzeit noch nicht genau beziffern. Doch finanziell ist die Stiftung in der Lage, diese Aufgabe zu stemmen.

Die Zeche Zollverein: Hier kann man seinen Kindern zeigen, wie das einst war mit der Kohle. Weltkulturerbe, Museum, alles.

Als Mehrheitsaktionär des prosperierenden Chemiekonzerns Evonik verfüge man über ein ausreichendes Finanzpolster, bekräftigt Tönjes. „Wir gehen von 18 Milliarden Euro aus, die wir auf der hohen Kante haben.“ Allein in diesem Jahr überwies Evonik über 360 Millionen Euro an Dividende an die Stiftung. Mit der Platzierung von 16,3 Millionen neuen Evonik-Aktien sowie einer Anleihe nahm die RAG-Stiftung in diesem Jahr zusätzlich eine Milliarde Euro ein. „Von den Erträgen, die dieses Vermögen erwirtschaftet, können wir die Beiträge für den Nachbergbau ab 2019 sicher erbringen“, ist Bernd Tönjes überzeugt. Ihm liegt auch viel daran deutlich zu machen, dass der Steuerzahler für die Ewigkeitskosten mit keinem Cent zur Kasse gebeten wird.

Ziel: Industrieholding

Derzeit besitzt die RAG-Stiftung 64,3 Prozent an Evonik-Aktien. Das Unternehmen Evonik entstand im selben Jahr wie die RAG-Stiftung, nämlich 2007. Hier wurde der sogenannte „weiße Bereich“ des Kohlekonzerns RAG gebündelt. Auch wenn in der Stiftungs-Satzung das Ziel steht, den Anteil an Evonik auf 25,1 Prozent zu reduzieren, so besteht für Bernd Tönjes dennoch kein Anlass, sich von weiteren Anteilen zu trennen. Man wolle auf absehbare Zeit weiter Mehrheitsaktionär bleiben. Schließlich sei man überzeugt, dass die Strategie des neuen Evonik-Vorstandes „sehr profitabel ausgerichtet ist und wir sicher von einer Rendite ausgehen können, die den Vorstellungen der RAG-Stiftung auch genügt.“

Darüber hinaus ist man bestrebt, über die  RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft langfristig weitere Erträge zu erzielen. Und zwar durch die Beteiligung an nachhaltig erfolgreichen Unternehmen zumeist aus dem mittelständischen Bereich. Die Zielsetzung lautet: Aufbau einer unternehmerisch  geführten Industrieholding. Oder wie es Bernd Tönjes formuliert: „Wir akquirieren Firmen, die beispielsweise ein Nachfolgeproblem haben, wo der Eigentümer ein Interesse daran hat, dass er ein Fortführungsmodell für sein Unternehmen auch umsetzen kann. Da sind wir der richtige Partner, da wir langfristig investiert bleiben wollen.“

Den Strukturwandel voranbringen

Bislang standen dabei global agierende Maschinenbau-, Automatisierungs- und Industriedienstleistungsunternehmen im Vordergrund. Aber man scheut sich auch nicht, in Unternehmen ohne Bezug zur Technik zu investieren, wenn diese großes Wachstumspotenzial versprechen. Darum stieg man mit mehr als zehn Prozent bei dem in Europa führenden Online-Fachhandel für Tierbedarf Zooplus ein. Im Rahmen der Diversifizierung ist die Stiftung außerdem Großaktionär des Wohnungskonzerns Vivawest, der mit rund 120.000 Wohnungen zu den Branchen-Größen in Deutschland gehört.

Die Stiftung benötigt schließlich Geld auf lange Sicht. Nicht nur zur Finanzierung der sogenannten Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus. In der Pflicht sieht sich Vorstandschef Tönjes nämlich auch bei der Gestaltung der Zukunft der Bergbauregionen. Das Ruhrgebiet, sagt er etwa, sei mit über 270.000 Studenten eine Chancenregion. „Unser Anliegen muss es darum sein, möglichst viele von diesen Talenten in dieser Region zu halten, um neue Unternehmen und damit Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft in die Region zu bringen.“

Als Beitrag zum Strukturwandel macht die Stiftung darum auch für die Förderung von Bildung und Kultur  beträchtliche Millionenbeträge locker. Der Steinkohlenbergbau ist Geschichte, doch dessen Aufarbeitung gibt es nicht zum Nulltarif.  


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    Die Zeche Zollverein im Wandel

    Seit 1986 ist die berühmte Schachtanlage in Essen nicht mehr in Betrieb, doch die Arbeit auf der Zeche Zollverein geht weiter. Denn heute wird auf dem denkmalgeschützten Gelände keine Kohle mehr gefördert – sondern Kultur.


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    „Keine Arbeit, sondern Maloche“

    Die Zeche war damals Spitzenreiter des deutschen Steinkohlebergbaus. Die Kumpels förderten, reinigten und veredelten rund zwei Millionen Tonnen Kohle jährlich. Bergarbeiter des Zollvereins mussten sogar ihre Mittagspausen unter Tage verbringen.


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    Auf dem Abstellgleis

    Teure Preise auf dem Weltmarkt, die Stahlindustrie in der Krise: Der Kohlebergbau in Deutschland muss subventioniert werden, Förderschächte werden stillgelegt. 1983 entscheidet der Besitzer Ruhrkohle AG binnen drei Jahren auch die Zeche Zollverein zu schließen.


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    Ein Denkmal der Industrie

    Nach der Stilllegung wird die Zeche Zollverein unter Denkmalschutz gestellt, das Land Nordrhein-Westfalen kauft der Ruhrkohle AG das Gelände ab. Zehn Jahre lang wird die Anlage saniert. Der britische Stararchitekt Norman Foster modernisiert das Werk von Fritz Schupp aus den 1930er Jahren.


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    Auf dem Weg zum Weltkulturerbe

    2001 wird die Zeche Zollverein zum Weltkulturerbe ernannt. 2010 wird das alte Gebäude der Kohlenwäsche als Besucherzentrum der „Route der Industriekultur“ wiedereröffnet. Ein Denkmalpfad lässt Besucher auf den Spuren des Bergbaus durch das alte Gelände folgen.


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    Im neuen Licht erstrahlt

    Heute ist die Zeche Zollverein nicht nur Kulturerbe, sondern auch Kulturstätte. 2013 organisierte das schottische Künstlerkollektiv NVA die Performance „Speed of Light“: 120 mit Leuchtmitteln präparierte Läufer brachten neben dem Zollverein drei Nächte lang sechs ehemalige Industrieorte im Ruhrgebiet zum Strahlen.


  • Die Zeche Zollverein im Wandel der Zeit

    Zeche der Zukunft

    Der Wandel der Zeche Zollverein geht weiter: Die Essener Folkwang Universität der Künste will ab 2017 einen neuen Campus auf dem alten Zechengelände eröffnen. In den neuen Bauten wird auch der Studiengang „Industrial Design“ beherbergt sein.

    Autorin/Autor: Maximiliane Koschyk


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