Thursday, 18th April 2024
18 April 2024

Die Flugscham und die Airlines

Fliegen ist klimaschädlich und wer fliegt, sollte das verantwortungsbewusst tun, sagen jetzt sogar Fluggesellschaften. Zeigt das seltsame Wort von der Flugscham Wirkung?

Anfang Juni in Seoul, das Jahrestreffen der Linienluftfahrtorganisation IATA, die den Großteil des weltweiten Luftverkehrs repräsentiert. Bei der Abschlusspressekonferenz bekommt Generalsekretär Alexandre de Juniac eine simple Frage vom Reporter einer Nachrichtenagentur gestellt. „Sind Sie ein Verschmutzer?“ Der oberste Branchenlobbyist schaut verdutzt und abweisend. Der Reporter fragt ein zweites Mal, erntet Augenrollen. Erst nach dem dritten Wiederholen der Frage doziert de Juniac leicht widerwillig darüber, wie viel die Flugbranche für den Klimaschutz tut.

Und das stimmt sogar, es ist in den letzten Jahren eine Menge passiert. Was aber hängenbleibt ist der Eindruck, dass der wichtigste Repräsentant des bedeutendsten Branchenverbands den Ernst der Lage noch nicht erkannt hat. Spätestens seit in Schweden im letzten Winter erstmals der Begriff „Flugscham“ aufkam und für die Generation der für den Klimaschutz streikenden Schüler der Luftverkehr zum Feindbild wurde. Seitdem steht die Flugbranche, verantwortlich für zwei bis drei Prozent des menschengemachten CO2-Ausstosses, öffentlich am Pranger.

E-FanX: Ein Demonstrator für elektrisches Fliegen – Kooperation von Airbus, Siemens und Rolls Royce

Bald keine Kundschaft mehr?

Unter vielen ganz jungen Leuten ist Fliegen erstmals negativ besetzt. Das könnte in einem Jahrzehnt ein großes Problem für die Airlines werden, wenn ihr nämlich nicht wie bisher üblich automatisch gewogene Kundschaft nachwächst, sondern künftige Generationen ihr Flugverhalten radikal ändern und möglicherweise weniger geflogen wird als heute.

Die Fakten lesen sich eigentlich gut für die Luftfahrt: Moderne Flugzeuge fliegen so leise und dabei treibstoffsparend wie noch nie, das heißt sie emittieren auch wesentlich weniger CO2 pro Flug – obwohl das Flugaufkommen insgesamt steigt, und damit die Gesamtbelastung. Der negative Umwelteffekt durch jeden einzelnen Reisenden hat sich seit 1990 halbiert, sagt die IATA. Ab 2020 will die Branche CO2-neutral wachsen, bis 2050 ihren Netto-Ausstoß von CO2 auf die Hälfte des Niveaus von 2005 reduzieren, unabhängig vom Wachstum.

„Wir müssen populärer darüber argumentieren, was wir erreicht haben, die Fakten allein dringen nicht durch in der Kommunikation“, fordert Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Die Lufthansa verweist darauf, dass sie 2018 nur 3,65 Liter Kerosin brauchte, um einen Passagier 100 Kilometer weit zu fliegen, das sei Rekord. 1994 seien noch 5,2 Liter dafür nötig gewesen. Mit 210 bis 2027 bestellten neuen Flugzeugen soll dieser Wert bei Lufthansa weiter deutlich sinken.

Tankwagen mit Bio-Kerosin vor einem Lufthansa-Airbus

„Wir brauchen eine schnelle Umkehr“

Die bisherige EU-Transportkommissarin Violeta Bulc hält dagegen: „Der CO2-Ausstoß ist heute doppelt so hoch wie in den 1990er Jahren, die zu günstigen Ticketpreise decken nicht die Umweltkosten des Fliegens ab, das kann so nicht weitergehen. Wir brauchen eine schnelle Umkehr, wir können das schaffen.“

Während IATA-Chef de Juniac trotzig darauf verweist, dass vieles beim „Hype gegen das Fliegen“ auf Falschinformation beruhe und es zu einfach sei, immer die Luftfahrt zu beschuldigen und andere Verkehrsmittel viel größere Verschmutzer seien – was stimmt – sind andere in der Branche schon viel weiter. So arbeitet etwa die niederländische Fluggesellschaft KLM konstruktiv an der Zukunft der Luftfahrt. FlyResponsibly heißt eine neue KLM-Kampagne, die die Menschen auffordert, verantwortungsbewusster zu fliegen. Das zielt in die von EU-Kommissarin Bulc vorgegebene Richtung.

„Es geht nicht darum, nicht zu fliegen“, sagt KLM-Chef Pieter Elbers, sondern eben mit mehr Bedacht und bewusster. Und am besten weniger. „Fridays for Future formuliert weniger die Abneigung gegen das Fliegen als die Aufforderung in verantwortungsvoller Weise zu fliegen“, so Elbers. „Für ein paar Euro nach irgendwo auf der Welt zu fliegen, finden die Leute eben nicht mehr verantwortungsbewusst, und das zu Recht.“ Der KLM-Boss ist einer der wenigen Airline-Chefs, die auch bewusst eigene Einbußen in Kauf nehmen. „Für mich ist klar, wie sich die Stimmung in der Gesellschaft ändert. Das sollten wir aufnehmen als Branche und sehen wie wir das umsetzen können.“ Auf längere Sicht könne es weniger Wachstum in der Luftfahrt geben wegen der Leute, die ihr Flugverhalten überdenken würden. Aber das sei für sich genommen nichts Schlechtes. „Die Leute wollen, dass die Airlines Verantwortung übernehmen, und das muss ein Teil der Differenzierung werden“, fordert der niederländische Airline-Chef.

Neue Treibstoffe, neue Maschinen

„Unsere größte Chance sind nachhaltige Flug-Treibstoffe, die können unseren CO2-Ausstoß um bis zu 80 Prozent reduzieren“, gibt IATA-Chef de Juniac die Richtung vor. Allerdings hat sich das Thema zuletzt nur im Schneckentempo entwickelt, Kerosin aus Öl war erneut so günstig geworden, dass teurere Bio-Alternativen wieder in den Hintergrund gerieten. Lufthansa etwa, vor Jahren Vorreiter bei Biosprit-Projekten, hat sich aus solchen innovativen Entwicklungen völlig verabschiedet.

Die Zukunft des Fliegens: Das Flying V-Modell von KLM in einer Computeranimation

Nicht so KLM: Ende Mai verpflichteten sich die Niederländer, ab 2022 jährlich 75.000 von 100.000 produzierten Tonnen an nachhaltigem Bio-Treibstoff abzunehmen. Der wird dann in der derzeit im Bau befindlichen weltweit ersten darauf spezialisierten Raffinerie in Holland produziert, vor allem aus Abfallprodukten wie gebrauchtem Speiseöl. Damit kann die Luftfahrt jährlich 270.000 Tonnen CO2 einsparen, „das entspricht der auf über tausend Flügen zwischen Amsterdam und Rio emittierten Menge“, so Pieter Elbers. Aber die Holländer suchen Mitstreiter: „Den Übergang zur Nutzung von Bio-Treibstoff können wir nicht allein als KLM machen, da ist die ganze Branche gefragt. Wir können da nicht nur auf andere zeigen, Kooperation ist der Schlüssel.“

Und die Holländer haben noch ein Ass im Ärmel, das den Vorteil hat, wesentlich emotionaler auszusehen als eine Raffinerie: Das Fliegende V. KLM unterstützt die Technische Universität Delft dabei, das Flugzeug der Zukunft zu entwickeln. Das Konzept ist kleiner als ein Airbus A350 und kann bestehende Flughäfen nutzen, dabei aber die gleiche Anzahl Passagiere und Fracht befördern, bei 20 Prozent weniger Spritverbrauch.

„Wir brauchen sicher noch über 25 Jahre Forschung dafür, aber wir starten zum 100jährigen Jubiläum von KLM im Oktober mit einem 3×3 Meter großen Versuchsmodell“, sagt Professor Henri Werij von der TU Delft. Zunächst würde der Entwurf Kerosin-getrieben starten, Alternativen werden gesucht. „Batterien funktionieren auf Langstrecken nicht, Wasserstoff oder Brennstoffzellen wären eine Möglichkeit“, so der Professor. So wie auf den Animationen heute wird vermutlich nie ein Flugzeug aussehen – das Fliegende V beflügelt aber zumindest die Fantasie und den Willen, das Fliegen der Zukunft nachhaltiger zu machen.

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