Friday, 19th April 2024
19 April 2024

Fußball-Zeitreise, 27.10.2008: Ein Trainer verweigert die Bayern-Spionage

Mit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger wird Krügel zur Legende.

Von Ben Redelings


Vor zehn Jahren starb Heinz Krügel. Die Trainer-Legende gewann 1974 sensationell mit dem 1. FC Magdeburg den Europapokal der Pokalsieger. Doch nur zwei Jahre später wurde er strafversetzt, obwohl er sich sportlich tadellos verhalten hatte.

Was würdest Du tun, wenn Du Fußballtrainer eines Europapokal-Teilnehmers bist und Dir angeboten wird, den FC Bayern München mit einer Wanze zu belauschen? Das ist eine komische Frage? Nein, ganz und gar nicht. Genau das ist Heinz Krügel, dem Coach des 1. FC Magdeburg, im Jahr 1974 passiert. Und er musste damals nicht lange überlegen, was er zu diesem Angebot sagen sollte.

Heinz Krügel ist eine Legende. Als Trainer gewann er mit seinem Klub, dem 1. FC Magdeburg, seit 1972 alles, was es in der DDR zu gewinnen gab. Den ersten Meistertitel holte er damals mit einer Truppe, deren Durchschnittsalter nur knapp über 22 Jahren lag. Niemals vorher und nie danach hat es ein jüngeres Team in der DDR geschafft, den Titel zu holen. Die Mannschaft bekam in diesen erfolgreichen Tagen Anfang der 70er-Jahre den wundervollen Beinamen "Krügels Kindergarten" verpasst.

DDR-Publikum war handverlesen

Krügel weigert sich, den Trainer des FC Bayern mit Wanzen auszuspionieren.

Den größten Erfolg mit seinem Team errang Krügel aber am 8. Mai 1974. Nach einer fantastischen Saison gewann der 1. FC Magdeburg den Europapokal der Pokalsieger im Rotterdamer Stadion "De Kuip". Als einige Monate zuvor genau hier die Reise begann, weil der NAC Breda sein Heimspiel in einem größeren Stadion austragen wollte, hatte Krügel seiner Mannschaft als Motivation mit auf den Weg gegeben: "Männer, denkt daran: Hier findet das Finale statt!" Und seine Truppe, die fast ausschließlich aus Spielern bestand, die aus Magdeburg und der näheren Umgebung kamen, erinnerte sich von Runde zu Runde immer wieder an diesen Ausspruch ihres Trainers.

Als das Team schließlich im Mai, nachdem es in einem hart umkämpften Halbfinale Sporting Lissabon geschlagen hatte, im Endspiel auf den AC Mailand traf, galt der Klub aus der DDR als krasser Außenseiter. Die Mannschaft um den jungen Coach Giovanni Trapattoni wurde von Kapitän Gianni Rivera aufs Feld geführt. Doch den Italienern mit ihrem ehemaligen deutschen Nationalspieler Karl-Heinz Schnellinger gelang an diesem Tage nur wenig. Und so setzten sich die Magdeburger dank eines Eigentores von Lanzi und eines Treffers von Seguin mit 2:0 durch. Leider sahen die Partie in Rotterdam nur knapp 5.000 Zuschauer. Die geringe Besucherzahl lag auch daran, dass aus der DDR nur "ausgesuchte", "politisch tadellose" Fans mit in die Niederlande reisen durften. Und nicht immer waren diese Begleiter der Mannschaft auch richtige Fußballfans.

EUR 14,00 Jetzt kaufen

Heinz Krügel kritisierte einmal, dass diese Leute häufiger erst fragen mussten, in welchen Farben denn ihr Team heute spiele. Doch der historische Sieg konnte auch durch diese kleinen Misstöne nicht getrübt werden. Legendär sind die Bilder der Mannschaft, wie sie nach dem Erfolg auf dem Rotterdamer Rasen in weißen Malimo-Bademänteln aus Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz mit dem Pokal eine Ehrenrunde lief. Jürgen Sparwasser, der ein paar Wochen später dem Team der BRD durch seinen Treffer in Hamburg bei der WM so viele Kopfschmerzen bereiten sollte, feierte den unvergesslichen Abend mit den Worten: "Das war heute der größte Tag des DDR-Fußballs!".

Trainer Heinz Krügel genoss den Triumph in der Nacht still bei einigen Gläsern Bier. Seine Heldentat hatte er bereits am Morgen vollbracht, als er seinen Spielern die Ausgabe des "Kicker" vor Augen hielt. In dicken Lettern stand über dem Artikel zum Finale: "David gegen Goliath". Das reichte als Motivation. Der clevere Psychologe hatte seine Mannschaft mit wenigen Mitteln heiß gemacht.

Krügel trifft folgenschwere Entscheidung

Doch schon zwei Jahre später brach die heile Welt des Heinz Krügel von einem Tag auf den nächsten zusammen. Wenige Monate nach dem Triumph von Rotterdam traf sein Team in der zweiten Runde des Landesmeister-Wettbewerbs auf den westdeutschen Titelträger Bayern München – und schied knapp aus. Das alleine wäre noch kein Problem gewesen, doch Krügel hatte es abgelehnt, die per Wanze abgehörten Pausenworte seines Kollegen Udo Lattek auszuwerten. Er mochte nicht mit unfairen und unlauteren Mitteln kämpfen. Doch dieses sportlich so tadellose Verhalten kam bei der Politik gar nicht gut an. Auch in der Folgezeit verscherzte es sich der Magdeburger Trainer immer wieder mit Mitgliedern der Partei – bis es diesen eines Tages reichte. Und so degradierten sie Krügel im Sommer 1976 auf den Posten des Sportstättenverwalters der BSG Motor Mitte. Erst viele Jahre später, nach der Wende, wurde der gebürtige Zwickauer rehabilitiert.

In Magdeburg jedoch hat man in all der Zeit die großen Verdienste ihrer Legende nie vergessen. Nach Krügels Tod am 27. Oktober 2008 wurde zuerst ein Platz vor dem Magdeburger Stadion nach ihm benannt und 2014 sogar ein Denkmal errichtet. Die Kosten für die Statue haben ganz alleine die Fans getragen – durch eine Spende in Höhe von 19,74 Euro. Damit erinnerten sie an den größten Triumph in der Geschichte des 1. FC Magdeburg, den ein Mann ganz besonders prägte: Heinz Krügel.

Das aktuelle Buch unseres Kolumnisten Ben Redelings: "Fußball. Die Liebe meines Lebens" bei Amazon bestellen. Live ist Redelings deutschlandweit mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour

By:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert