Friday, 19th April 2024
19 April 2024

Wenn Baumeister zeichnen, dann denken sie

Sergei Tchoban hat in Berlin sein privates Museum für Architekturzeichnung aufgebaut. Seit fünf Jahren kommt es ohne Förderung aus, dabei füllt es in der Hauptstadt eine klaffende Lücke. 0

In Berlin-Prenzlauer Berg sind Neubauten eher selten. Drei Viertel der Häuser entstanden vor dem Zweiten Weltkrieg, die meisten davon in der Gründerzeit. Zwischen all dem historistischen Bauschmuck fallen moderne Bauten besonders auf. Die wenigsten aber so positiv wie ein Eckhaus am Eingang zum Hof der ehemaligen Pfefferberg-Brauerei.

Leicht verdrehte Quader aus hellem Stein und spiegelndem Glas stapeln sich auf dem schmalen Grundstück übereinander. In die Sandsteinfassade ist ein Relief gekratzt, das sich erst langsam, bei genauem Hinsehen als Zeichnung eines Gebäudes zu erkennen gibt.

Der Museumsbau ist nicht nur das Gehäuse für eine private Sammlung von Architekturzeichnungen, sondern auch sein größtes Exponat. Sergei Tchoban, russischer Architekt mit Büros in Berlin und Moskau, hat das Museum für Architekturzeichnung für seine Stiftung gebaut. Gerade hat es fünften Geburtstag gefeiert.

Das Museum als „architecture parlante“

Tchoban ist stolz auf den Entwurf: „Für mich ist es in der Architektur sehr wichtig, dass ein Gebäude nicht verstummt, wenn man näher herantritt und Details sieht, die man aus der Ferne nicht erkennt.“ Im Depot des Museums erzählt er, dass es über die Inhalte sprechen soll, „mit den Künstlern, die für mich die Seele der Architekturzeichnung verkörpern“. Seine Stiftung befriedigt nicht nur Tchobans Sammelleidenschaft, sie holt auch Leihgaben internationaler Museen nach Berlin.

Sergei Tchoban hat Wohn- und Geschäftsgebäude gebaut, einige Hotels, Behrens’ Berolina-Haus am Alexanderplatz denkmalgerecht saniert, ein Hochhaus im Moskauer Federazija-Komplex geplant. Nicht allen Projekten sieht man an, dass er selbst ein talentierter Architekturzeichner ist, der weltweit ausstellt. „Man muss zwischen Zeichnungen unterscheiden, die ein Stück Kunst sind, und solchen, die ein Dokument des Entwurfsprozesses sind“, sagt er mit seinem typischen Pragmatismus.

„Entwerfen ist eine spannende Arbeit, aber man sollte sie nicht überhöhen.“ Als Architekt könne er – im Gegensatz zu manchen Kollegen – auf das Zeichnen mit der Hand nicht verzichten: „Zeichnen ist Denken. Ich kann abstrakt überlegen, über Dinge grübeln, aber erst wenn ich zum Stift greife und etwas aufs Papier auftrage, merke ich, wie sich Gedanken fortsetzen, wie man Ideen weiterentwickelt und Neues kreiert.“

Der Begriff Architekturzeichnung sei ohnehin irreführend, erklärt Eva-Maria Barkhofen, die Leiterin des Baukunstarchivs der Berliner Akademie der Künste. Sie sitzt auch im Kuratorium der Tchoban-Stiftung und berät beim Aufbau der Sammlung. Es gibt Entwurfszeichnungen von Architekten, die natürlich nicht unbedingt Kunstansprüche verfolgen. Es gibt künstlerische Skizzen, die beim Entwurf entstanden, von Architekten aber auch nachträglich angefertigt wurden. Es gibt Bilder, die Künstler von realen Architekturen gezeichnet haben und fiktive Architekturfantasien, von denen die „Capricci“ und „Carceri“ von Piranesi wohl die bekanntesten sind.

Ins Museum für Architekturzeichnungen gelangen nur solche, die, auch ohne zu wissen, von welchem berühmten Urheber sie stammen, als Kunst bestehen können. So hat es auf die Museumsfassade ein Künstler geschafft, der Tchoban im Studium an der Kunstakademie in St. Petersburg inspirierte und um das Jahr 2000 zum Sammeln animierte, der italienische Bühnenbildner Pietro Gonzaga (1751 bis 1831), der für die Mailänder Scala arbeitete und später an den Zarenhof kam.

„Als ich überlegte, wie ich die Haut des Gebäudes schmücken wollte, kam mir sofort Gonzaga in den Sinn. Sein fließender Tuschestrich und die verwischte Aquarellmalerei sind für mich ein Sinnbild für Architekturzeichnung.“ Das zugrunde liegende Blatt hatte er „für wenig Geld“ beim Auktionshaus Bassenge ersteigert. Heute werden Tchoban Zeichnungen angeboten, er verfolgt die wichtigen Versteigerungen, hat aber auch einen Berater in London, der für ihn kauft.

„Bei Gonzaga wusste ich gleich, da muss man weitersammeln, in die Tiefe wie in die Breite.“ Mittlerweile besitzt Tchoban fünfzehn Blätter. „Dann mussten Zeichnungen der Künstlerfamilie Bibiena hinzukommen, Arbeiten von Brenna und Quarenghi. Natürlich in Russland tätige Architekten wie Thomon und Montferrand. Damit entstand ein erster großer Busch“ – so nennt Tchoban die sich ausdehnenden Schwerpunkte seines Interesses – „und daraus die Sammlung. Später kamen die französischen Zeichner des 18. und 19. Jahrhunderts. Konstruktivisten des frühen 20. Jahrhunderts. Russische Architektur der 1930er-Jahre.“

In Berlin fehlt ein Architekturmuseum

Damit aus den Büschen kein undurchdringliches Dickicht wird, hat er gelernt, dass man als Sammler auch widerstehen können muss. „Vor einiger Zeit wurden mir zwei Zeichnungen von den Wegen zur Kirche Sankt Peter und Paul im modernistischen Viertel EUR in Rom angeboten. Das waren ganz wunderbare Gouachen. Ich habe sie nicht genommen.“

Tchoban will keine Einzelgänger in seiner Sammlung. Um ein neues Thema wie „Architektur vom Übergang des Futurismus in den Faschismus“ aufzumachen, hätte er ein Dutzend passende Arbeiten kaufen müssen. „Um diesen Busch richtig einzurahmen, wäre sehr viel Konzentration erforderlich gewesen.“

In Berlin gibt es kein Architekturmuseum. Die Berlinische Galerie hat eine gute regionale Sammlung. Die Staatlichen Museen ignorieren die Baukunst. Bis die Bauakademie wieder – und mit welchem Auftrag – errichtet ist, vergehen noch Jahre. Im Pfefferberg-Komplex residiert immerhin die Architekturgalerie Aedes.

So füllt Tchoban mit seinem ohne öffentliche Förderung finanzierten Leuchtturm in Prenzlauer Berg eine echte Lücke. „Ich wollte als Sammler ernsthaft auftreten und Museen, die nie in Berlin ausgestellt haben, hier eine Plattform schaffen.“ Das Londoner Sir John Soane’s Museum mit dem Nachlass des berühmten englischen Architekten war schon dreimal zu Gast. Die Wiener Albertina hat in Berlin erstmals ihre Architekturzeichnungen ausgestellt. Nun kommt die Technische Universität und zeigt Zeichnungen von Hans Poelzig.

Und während zwei Kuratorinnen das Programm des Museums entwickeln, hegt und pflegt Sergei Tchoban die Büsche in seinem Garten. Er wäre kein echter Sammler, wenn da nicht doch auch mal der Wunsch nach einer großen Solitärpflanze aufkäme. „Wenn Geld keine Rolle spielte, dann würde ich mir eine Venedig-Vedute von Canaletto wünschen. Aber das ist unerreichbar.“ Natürlich auch des Konzeptes wegen.

Frankfurt am Main feiert seine neue Altstadt Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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