Thursday, 28th March 2024
28 März 2024

Hat wirklich die RAF den Treuhand-Chef erschossen?

Mythos, Verschwörung, Terrorismus: André Georgi ist der Drehbuchautor für komplexe Fernsehthriller. In seinem ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“ spürt er dem Attentat auf Detlev Karsten Rohwedder nach. 0

Er kommt gerade aus Bielefeld. Das ist – verschwörungstheoretisch – eigentlich kein so gutes Zeichen. Die Stadt am Teuto gibt es eigentlich gar nicht. Das jedenfalls glauben im Netz ungefähr so viele wie, dass die Erde innen hohl ist. André Georgi, 1965 in Kopenhagen geboren, markanter Glatzkopf, runde Brille, jungenhafte Stimme, wohnt in Bielefeld. Zumindest den Netzmythos seiner Stadt kann er entkräften.

Dass Georgi – er hat zwei Romane geschrieben, zwei Erzählungen und mehr als vierzig zum Teil hochdekorierte Drehbücher – jetzt an einem anderen Mythos kräftig weiterschreibt, werden ihm etliche vorwerfen. Er weiß das. Dass er sich angreifbar gemacht hat mit seinem Drehbuch zum ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“. Das Risiko ist er bewusst eingegangen, als er vor gut drei Jahren anfing, sich mit dem Mord am Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder zu beschäftigen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Fiktion jenes 1. April des Jahres 1991 inklusive seiner Vor- und Nachgeschichte annimmt. Neben Georgis eigenem, sozusagen parallel zum Filmskript entstandenen Suhrkamp-Thriller „Die letzte Terroristin“ wurzeln zwei weitere Kriminalromane (von Wolfgang Schorlau und Horst Eckert) aus dem Berg der Akten.

Immer noch offen ist die Frage, wer tatsächlich um 23.30 Uhr aus 63 Meter Entfernung die Schüsse auf das einzige nicht schusssichere Fenster in der Düsseldorfer Rohwedder-Villa abgab und den damals meistgehassten Mann Ostdeutschlands tödlich traf.

Als im vergangenen Jahr Dominik Grafs Stuttgarter „Tatort“ über die „Nacht von Stammheim“ gelaufen war, in dem neben der Verstrickung des Verfassungsschutzes in die Todesfälle von Stammheim auch Alternativgeschichte erzählt wurde, was die Selbstmorde von Ensslin, Baader und Raspe angeht, reichte die Aufregung bis hin zum Bundespräsidenten. Graf und sein Drehbuchautor Rolf Basedow würden in „Der rote Schatten“ gefährlichen Unsinn verbreiten, hieß es, sie strickten am Mythos der RAF. „Das sind alles Enden einer Geschichte“, rechtfertigte Graf seine Art der Vermischung von Fakten und Fiktionen, „die keinen Abschluss hat.“

Der Satz könnte auch von Georgi stammen. Wir sitzen beim Italiener in Berlin, über dem bis vor Kurzem die „taz“ ihrer Arbeit nachging, die nun aber umgezogen ist. Georgi kommt immer wieder auf den Mythos zurück. Er will das klar haben. Mit einem bis zu Ende aufgeklärten Kriminalfall wäre er erzählerisch anders umgegangen, daraus könne man Truman Capote machen.

Ein Mythos aber, zitiert er Claude Lévi-Strauss, „ist auch die Gesamtheit seiner Erzählungen. Wo Kriminalistik, Journalismus und Wissenschaft in der Aufklärung eines Verbrechens so große Löcher lassen, wo so viele Erzählungen möglich bleiben wie beim Mord an Rohwedder, ist der Thriller als Form ideal, weil man hier die Möglichkeit hat, multiperspektivisch in verschiedene Erklärungsmuster hineinzuschreiben.“

Neben der dritten Generation der RAF, die sich zur Tat bekannt hat (Haare des später in Bad Kleinen erschossenen Terroristen Wolfgang Grams wurden am Tatort gefunden), gibt es durchaus Interessengruppen, denen Rohwedders gewaltsamer Tod gerade recht kam. Alle bisherigen Fiktionalisierungen setzten auf ein Dreigestirn möglicher Mörder: die RAF, die Stasi und sinistre westdeutsche Wirtschaftskreise, denen Rohwedder als Treuhandchef zu mildtätig war im Umgang mit der maroden DDR-Wirtschaft.

Der Mord an Rohwedder, sagt Georgi, war einer der Wendepunkte in der Geschichte des frischvereinten Deutschlands. Rohwedder habe die DDR-Unternehmen in der Treuhand so handlungsfähig wie möglich zu machen versucht. Erst nach seinem Tod habe die Treuhand alles zerpflückt, zerschlagen, verramscht.

Mit Verschwörungstheorie habe das, was man im „Mordanschlag“ sieht, nichts zu tun, sagt Georgi. Sondern mit der Aufbereitung, der Auserzählung von Hypothesen, dem Weitergeben von Fragen an die Geschichte. Im Übrigen legt „Der Mordanschlag“ zwar Fährten, sich aber insgesamt nicht fest.

Georgis Zweiteiler ist eben gerade kein Dokumentarfilm, das ZDF stellt dem durchfiktionalisierten Drama eine Dokumentation zur Seite, in der alle zugänglichen Fakten noch einmal zusammengefasst werden. Rohwedder selbst kommt auch gar nicht vor im Film. Georgi hat die Klarnamen rausgenommen, die Timeline verändert, Figuren der Rohwedder-Geschichte und der RAF-Geschichte zusammengezogen und verfremdet.

Ein sympathischer Wirtschaftsboss

Hans-Georg Dahlmann heißt der Treuhand-Chef im „Mordanschlag“ (Ulrich Tukur packt all seinen Charme und seine Härte hinein). Ein sympathischer Wirtschaftsboss, wie es schon lange keinen mehr gab im deutschen Fernsehen. Ein liebender Familienvater. Der sich unbeliebt macht beim internationalen Konsortium, das die ehemaligen staatseigenen Betriebe zerschlagen sehen will, um jede mögliche Konkurrenz im Keim zu ersticken. Der den Hass der VEB-Beschäftigten erträgt und versucht, sie zu überzeugen, ihnen Hoffnung zu machen. Und darum das falsche Opfer für Linksterroristen ist.

Und dann setzt ihm die RAF (Jenny Schily ist genial als perfide linksterroristische Fieselschweifführerin) eine Sympathisantin namens Sandra Wellmann (Petra Schmidt-Schaller) als persönliche Assistentin ins Auto. Die soll ihn erst ausspähen, dann sogar erschießen. Was ihr schwerfällt, weil ihr, je näher sie Dahlmanns Arbeitsethos, seiner wirtschaftlichen Philosophie, seiner menschlichen Agenda kommt, immer klarer wird, dass man alles Mögliche tun kann gegen das verhasste System, bloß eben gerade nicht in der sensiblen Phase des Übergangs der DDR-Betriebe in den Kapitalismus ausgerechnet Dahlmann zu erschießen.

Alle Erotik hat Georgi aus dem Verhältnis zwischen Dahlmann und Wellmann herausgehalten. Es ist eher ein Vater-Tochter-Verhältnis (in die Figur der gefährlichen Assistentin hat Georgi Züge der Ponto-Attentäterin Susanne Albrecht eingearbeitet) und Petra Schmidt-Schaller macht auf flackernde, aufregende Art die emotional und familiär erpressbare, ideologisch halb blinde Sandra zum schwankenden, klopfenden Herz des Zweiteilers.

Es ist ein komplexer Film, weil Georgi multiperspektivisch in seiner Geschichte herumleuchtet und inklusive der in unterschiedliche Abhängigkeiten verstrickten Ermittler von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz sämtlichen Beteiligten weitgehend unklischiertes menschliches Format gibt. Selbst der BKA-Ermittler Grawert bekommt auch dank Maximilian Brückners zunehmend gebrochenerem Spiel eine enorme Tiefe.

Es war ein kompliziertes Projekt. Weil es durchaus Interessengruppen gab, die gefragt werden wollten, gegenüber denen man sich absichern wollte. Weil Georgis Drehbuchfassungen durch mehr Ausschüsse mussten als ohnehin bei den Öffentlich-Rechtlichen üblich.

Georgi musste sich zwischenfinanzieren. 50.000 Euro zahlt das ZDF für einen Neunzigminüter, aber vollständig erst dann, wenn endgültig klar wird, dass der Film wirklich gedreht wird. Weswegen sich Autoren dreimal überlegen, ob sie sich wirklich an die Arbeit einer der momentan modischen Miniserien oder an einen Zweiteiler machen. Georgi musste sich, weil der rechercheintensive „Mordanschlag“ lange auf ziemlich wackeligen Füßen stand, absichern.

Er schrieb andere Drehbücher zwischendurch. Gibt – aber damit wird man auch nicht reich – die Werke des Dichters August von Kotzebue heraus, das „erste Opfer eines Selbstmordanschlags in Deutschland“. Machte zwischendurch aus dem „Mordanschlag“ einen Roman. Besser gesagt: „Die letzte Terroristin“ und das finale „Mordanschlag“-Skript lieferten sich eine Art Wettlauf. Der nicht ganz mit dem Drehbuch deckungsgleiche Roman hat – zumindest, was die Veröffentlichung angeht – am Ende gewonnen.

Georgi ist ganz zufrieden so. Mit Film und Buch. Und er will sich auch gar nicht beschweren über den Verwaltungs- und Absicherungsweg, den seine Drehbücher jetzt wieder durch die Instanzen des öffentlich-rechtlichen Systems nehmen mussten. Dass er trotz allem seinen Suhrkamp-Kollegen Andreas Pflüger ein bisschen beneidet, der gerade mit Aplomb sämtliche Drehbuchbrocken hingeworfen hat, kann er nicht verhehlen.

Die Mehrzahl der erfolgreichen Filmautoren, die er kennt, sind extrem angefressen darüber, mit welcher Missachtung sie trotz der Autoreninitiative Kontrakt 18 immer noch im Produktionsprozess behandelt werden. Hinter Kontrakt 18 steht eine Agenda, die eigentlich bloß Selbstverständliches wie eine stärkere Mitsprache in den Gewerken eines Films und mindestens eine Gleichbehandlung der Autoren im Verhältnis zu den Regisseuren fordert. Aber längst wird nicht alles, was von Fernsehverantwortlichen in Sendern und Filmproduktionen öffentlich gesagt wird, intern auch umgesetzt.

Keine goldenen Streamingzeiten

Immer wieder gibt es Fälle, in denen Drehbücher bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben werden, wogegen Autoren – außer sie steigen aus dem Projekt aus oder werden gefeuert – nichts tun können. Und wer aufbegehrt, muss mit Auftragsdürre rechnen, zumindest für eine gewisse Zeit. Alles schon da gewesen.

Von den gern ausgerufenen prima Zeiten für deutsche Drehbuchschreiber in Zeiten von Netflix, Amazon und Sky sind wir, sagt Georgi, jedenfalls noch weit entfernt. Gerade in Deutschland. Weil es thematisch schwierig ist. Historische Stoffe jenseits der angehenden Machtergreifung (also noch vor der Grundsteinlegung zu „Babylon Berlin“ in den Zwanzigern) gehen nicht.

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Tom Tykwers Serie „Babylon Berlin“ feierte am 13. Oktober 2017 Premiere auf Sky . Nun zeigt die ARD die beiden Staffeln mit insgesamt 16 Folgen.

Politische Stoffe, der Versuch, ein deutsches „House of Cards“ bezugsfertig zu machen, scheitern regelmäßig nicht nur an den jeweiligen Serien, sondern auch am grundsätzlichen Desinteresse der deutschen Zuschauer an fiktionalisierten Strukturen der deutschen Politik.

Kotzebue würde er gern als Miniserie machen (zerrissenes Deutschland, randhysterisch im Umbruch, politische Attentate), das geht wohl aber noch lange Zeit nicht. Die Zielgruppe ist vielleicht doch zu spitz. Wird wohl wahrscheinlich ein Projekt über die Wege, auf denen die ehemaligen Nazigranden nach Südamerika kamen, wer ihnen half und was sie da dann taten.

Wieder Mythos. Wieder Verschwörungstheorie (der Vatikan! die CIA!). André Georgi kann es nicht lassen. Zum Glück.

Der Mordanschlag: ZDF, 5. und 7. November, 20.15 Uhr

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