Friday, 29th March 2024
29 März 2024

Das Teenagergehirn, eine Blackbox

Alkohol, Chatnachrechten und ein plötzliches Wachstum des rechten rostrolateralen präfrontalen Cortex: Kann uns die moderne Hirnforschung helfen, das ewige Mysterium der Pubertät aufzuklären? 0

Der Eintritt der eigenen Kinder ins Teenageralter ist eine ganzheitliche Erfahrung, die alle Sinne beansprucht. Man sieht es an der Kleidung, der Frisur, dem Gang. Man riecht es, weil entweder gar nicht mehr oder dreimal am Tag geduscht wird.

Und man hört es, weil die Zeiten vorbei sind, dass die Familie sich im Urlaub auf gemeinsame Musikauswahl einigen konnte. Das Paradox des Teenagers: Obwohl er sein Innerstes laut und grell nach außen kehrt, ist rätselhaft, was in ihm drin vorgeht.

Hier entsteht eine natürliche Verbindung zwischen Eltern und Neurowissenschaftlern, die beide nur zu gern in den Kopf des Kindes gucken wollen, aber möglicherweise nicht einmal mehr unbeschränkten Zugang zum Zimmer haben. Sarah-Jayne Blakemore, Professorin für Kognitive Neurowissenschaften in London, hat ein Buch geschrieben, das auf die große Gruppe von leidgeprüften Eltern zielt, denen „das Teenagergehirn“ eine große Blackbox ist.

Hier der Input (Musik, Chatnachrichten, Alkohol), dort der Output (Giggeln, Tuscheln, Lallen). Was dazwischen passiert, bleibt ein Mysterium.

Die Verhaltensforschung hat ganz andere Möglichkeiten, zum Beispiel den Tierversuch. „Diese Grafik zeigt, dass halbwüchsige Mäuse in Gesellschaft von Käfiggenossen mehr Alkohol trinken, als wenn sie allein sind. Ausgewachsene Tiere nehmen stets ungefähr die gleiche Menge zu sich.“

Wenn sogar Mäuse so unvernünftige Dinge tun, ist schon mal bewiesen, dass Adoleszenz eine ziemlich universelle Phase ist. Man mag sich fragen, wozu man Tierversuche im Komasaufen braucht, wenn man die pubertierenden Monster doch direkt untersuchen könnte.

Doch wissenschaftliche Experimentierlust kennt im Gegensatz zu der von Teenagern Grenzen. Wie wirkt sich etwa Alkohol auf das in der Entwicklung befindliche Gehirn aus?

„Der beste Weg würde darin bestehen, zwei Gruppen ähnlicher Teenager zu rekrutieren – mit ähnlichem sozioökonomischem Hintergrund, ähnlichem IQ-Wert und so weiter – und der einen im Laufe der Adoleszenz viel zu trinken zu geben, der anderen aber nicht.“ Aber: „Wäre, wäre, Fahrradkette“ (Lothar Matthäus). Versuchskaninchen würden sich zumindest für die erste Gruppe leicht finden lassen, aber leider hätte wohl der Ethikrat etwas dagegen.

Da man die Teenagergehirne auch nicht wie bei Leichen sezieren kann, bleibt die Magnetresonanztomografie (MRT) als wichtigstes Instrument. Gerade am Beispiel des Alkoholkonsums zeigt sich ein prinzipielles Problem der Interpretation von Gehirnscans.

So wurde festgestellt, dass bei Alkohol trinkenden Jugendlichen bestimmte Teile des präfrontalen Cortex kleiner sind, die an Selbstbeherrschung und Hemmung beteiligt sind. Ist das nun eine Ursache des exzessiven Trinkens oder eine Folge davon? Am Ende bleibt der Befund, dass ständiges Saufen nicht ganz so gut für die Birne ist.

Es ist bemerkenswert, dass sich überhaupt Korrelationen zwischen der Entwicklung von Hirnarealen und bestimmten Verhaltensweisen herstellen lassen, etwa zwischen gesteigerter Risikobereitschaft und dem Wachstum des limbischen Systems. Ein typisches Pubertätsphänomen ist die rasant steigende Fähigkeit zur Introspektion, also zur Selbstwahrnehmung – und damit auch der Zwang zur ständigen Vergewisserung der eigenen Rolle im sozialen Kontext: Bin ich cool genug? Sehe ich gut aus? Trage ich die richtigen Klamotten?

Dass die Fähigkeit zur Introspektion dazu mit dem Wachstum des rechten rostrolateralen präfrontalen Cortex zusammenhängt, ist als Allgemeinwissen faszinierend. Aber damit versteht man noch lange nicht, warum das eigene Kind plötzlich am Rande des Neuronenzusammenbruchs steht oder seine Eltern furchtbar peinlich findet. Vielleicht ist es an diesem Tag einfach mit dem falschen Schläfenlappen aufgestanden.

Wozu der ganze Aufwand?

Hirnforschung ist hochspannend. Als Erziehungshilfe oder Universalschlüssel zum verborgenen Innenleben von Jugendlichen kann sie aber nicht viel beitragen. Blakemore folgert selbst, dass es vor allem auf individuelle Unterschiede ankommt: „Den durchschnittlichen Teenager gibt es nicht.“

Wozu dann der ganze Aufwand? Für ratlose Eltern bleibt das Stoßgebet: „Herr, schick Hirn vom Himmel!“

Sarah-Jayne Blakemore: „Das Teenager-Gehirn“. S. Fischer, 304 S., 18 €.

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