Tuesday, 23rd April 2024
23 April 2024

Vermiss mich! Wie Fitnessuhren die Sportbranche revolutionieren

Im finnischen Oulu wurde die drahtlose Pulsmessung erfunden – erst für Top-Athleten, dann für jedermann. Hier beginnt der Stammbaum der heutigen Trainingscomputer, die coachen, navigieren und Tagebuch führen können. Jetzt kommt ihre nächste Generation.

Jede Uhr – auf dem Schirm durchleuchtet – enthält mehrere Sender und Empfänger, dadurch kommuniziert sie mit Satelliten, Smartphone und externen Sensoren. Die Herausforderung für Funkingenieurin Vesna Someros ist es, ihre winzigen Antennen optimal zu gestalten.

Männer, sagt man mit gutem Recht, sollten Schwäche zeigen können. Und ich spüre: Dafür habe ich Talent. Ich spüre es in den Beinen, im Kreuz, in den Knien und in der Brust: Muskeln lügen nicht. Und der ehrlichste von ihnen ist das Herz.

In Finnland, knapp südlich des Polarkreises, am Vorabend des Mittsommers, will die Sonne nicht sinken, und Sportsüchtige könnten fast drei Triathlons in diesen endlosen Tag packen. Ideal sei er aber auch für eine harmlose Fatbike-Tour, hatten meine Gastgeber gesagt. So lasse sich Oulu, ihre Stadt, vorzüglich erkunden. Oulu zählt zu den fahrradfreundlichsten Großstädten der EU, deren nördlichste es ist. Es war 2013 Erstausrichter des Weltkongresses für das Winter-Radfahren. Auch ist es fast völlig eben.

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Der Wermutstropfen ist: Fatbikes, die Traktoren unter den Fahrrädern, sind schwer. Sie setzen schon gemächlichem Dahinradeln im altholländischen Stil wegen ihrer gigantischen Stollenreifen heftig Widerstand entgegen: Sie fordern Kraftausdauer. Das ist momentan das Problem – zu wenig Puste. Was (schwacher Trost) auch daran liegt, dass meine Mitfahrer für eines der renommiertesten Fitness-Unternehmen der Welt arbeiten: Permanentes Training ist für Mitarbeiter von Polar Electro Oy, dem Pionier der elektronischen Pulsmessung, so selbstverständlich wie Zähneputzen. Ein Kollege etwa kommt jeden Tag auf dem Rad ins Büro, jahraus, jahrein, 29,7 Kilometer sind es von Tür zu Tür. Nicht der Rede wert.

Marco Suvilaakso, Chefstratege von Polar, hat mein Problem vom Sattel aus erkannt. Mich braucht er nicht mit seinen präzisen Instrumenten zu vermessen, er sieht per Schulterblick: Das Einzige, worin ich allen anderen gerade voraus bin, ist mein Pulsschlag. Wir kürzen ab, während die wahren Athleten auf eine Extraschleife längs des Oulu-Flusses geleitet werden. Diese Tour wird mir unvergesslich bleiben – als 165-mal pro Minute schlagender Beweis dafür, dass sich Suvilaaksos innovationsfreudige Firma seit 41 Jahren mit etwas wirklich Wichtigem beschäftigt – mit der Gesundheit stiftenden Kunst des Sykeharjoittelu.

Sykeharjoittelu bedeutet „Herzfrequenz-Training“. Übersetzt klingt es also bei Weitem nicht so schön. Wie man es auch nennt, für jeden Athleten, der auf sich hält, für Bundesliga-Kader, für alle schnellen Rennradfahrer und für Triathleten sowieso ist die mit elektronischen Messmitteln unterstützte Pflege ihrer Ausdauerleistung eine alltägliche Selbstverständlichkeit.

Das war nicht immer so. Jahrzehntelang blieb Training, besonders im Breitensport, Erfahrungssache. Übungen wurden nicht individuell angepasst, Belastungen über den Daumen gepeilt. So lässt sich zwar Fitness aufbauen, doch nicht optimal steigern. Denn Gesundheitsbewusste, die nicht ihr Leben nach dem Sport ausrichten können, sondern den Sport in einen betriebsamen Alltag einpassen müssen, verlieren leicht den Überblick über ihre Gesamtbelastung. Manche Regenerationsphasen sind zu kurz für Muskelwachstum und Erholung, andere zu lang. Oft ist ein Training nicht fordernd genug, um Ausdauer zu fördern, manch eine unkalkulierte Anstrengung jedoch Übertraining, das Erschöpfung und Verletzungsgefahren mit sich bringt: Nur wer den Überblick behält, kann gegensteuern.

Die Wissenschaftler Kaisu Martinmäki und Jyrki Schroderus forschen für Polar auf den Gebieten der menschlichen Physiologie und der neuesten Technologien – die Firma lebt davon, beides zu verbinden.

Und erst das Prinzip der rechten Taktung garantiert, dass sich Anstrengungen in nachhaltige Fitness verwandeln. Also in das, was mir fehlt – und was ich in diesen Minuten gern einfach vom Himmel herabflehen würde. Doch der göttliche Gnadenakt stellt sich nicht ein. Denn wer fit und dadurch fundamental gesund werden möchte, dem halten meine sportiven Mitfahrer stattdessen ein forderndes Rezept entgegen: „Blut, Schweiß und Daten“. Dies sei der wahre Weg zur Erlösung. Und das mit dem Blut nicht allzu ernst gemeint. Das mit dem Schweiß – Finnisch „Hiki“ – aber ist es umso mehr. Fit werden sei halt Arbeit (die ihre neuesten Geräte auf die Wattminute genau zählen könnten). Eigentlich muss mir das gerade keiner erklären.

Die Arbeitsteilung ist einfach: Ich produziere Hiki, Polar produziert Data. Die Finnen haben das Hirschhausen-Team nach Oulu eingeladen, um uns die frischesten Früchte ihrer 40-jährigen Arbeit auf dem Feld der Fitness-Vermessung zu zeigen. Vor kurzem haben sie ihre Trainingsuhren „Vantage V“ und „Vantage M“ vorgestellt, hochtechnologische Selbstvermessungs-Maschinen, die vom Handgelenk aus mit elektrischen und optischen Sensoren in das Innere des bewegten Menschen blicken und ihm helfen sollen, seinen Alltag und seinen Ausgleichssport so zu gestalten, wie es eine gesundheitsbewusste Trainingswissenschaft empfiehlt. Die drahtlose Herzfrequenzmessung, hier in Oulu Ende der 1970er Jahre entwickelt von Professor Seppo Säynäjäkangas, ist nur eine der vielen Fähigkeiten der runden Handgelenks- Computer, aber heute wie damals ist sie entscheidend.

Mich zum Beispiel könnten die Messungen einer Trainingsuhr über einige Monate vom gegenwärtigen Fatbike-Leid in einen souveränen Pedalisten verwandeln, per „Smart Coaching“ dirigieren sie einen individuellen Trainingsplan. Die Bereitschaft ihres Trägers, Hiki zu liefern und den Daten zu gehorchen, einmal vorausgesetzt. Denn das ist es ja, was solche Geräte leisten: Sie fördern die Fitness-Vernunft. Der Aufbau eines schlagkräftigeren Herzens, das Einsprossen neuer Gefäße, eine saugkräftigere Lunge, neue Muskeln, das alles sind Fragen der richtigen Belastungsdosis (siehe Kasten). Sie lässt sich heute mittels Selbstvermessung regulieren – und zwar für jedermann.

Finnlands Wald als Forschungslabor

Am Anfang der Lebenserzählungen großer Elektronik- Erfinder steht oft ein mythischer Ort – Steve Jobs’ oder Bill Gates’ Garage, in denen sich Genie in Technik verwandelte. Bei Seppo Säynäjäkangas war des Professors Garage der nordische Wald. Hier traf der passionierte Langläufer zufällig auf sein ungelöstes Problem, ein namhafter Trainer stellte es ihm im Schnee. Der Coach wollte den Puls seiner Ausdauerathleten per Funk messen: In der Loipe wäre es unvorteilhaft, ein zentnerschweres EKG-Gerät hinter sich her zu ziehen – fast so fies wie unfit auf dem Fatbike fahren.

Und Säynäjäkangas erfand. Seither ist Polar, das aus seiner Forschung gewachsene Familienunternehmen, der Pionier der Selbstvermessung. Seine Brustgurte mit EKG-Elektroden zogen ab 1982 in die Sportwelt ein. Anschließend bauten Professor Seppo und seine Leute ihren Betrieb zu einem trainingselektronischen Premierentheater aus.

Den Falltest muss die Uhr voll funktional überstehen.

Sie waren die Ersten, die nicht nur von fern messen konnten, wie schnell das Herz beim Laufen, Schwimmen oder Radeln schlägt – sondern auch, wie rasch sich unser Herzschlag bei Belastungswechseln beschleunigt oder verlangsamt. Ein fittes Herz kommt vom Sprint-Puls sehr rasch herunter, Untrainierte hecheln noch minutenlang. Und als Erste setzten die Finnen 2007 den kommenden Trend um: Activity Tracking, die Selbstvermessung des ganzen Lebens, Tag und Nacht. Mit ihr lässt sich der eigene Schlaf studieren, das ist der gegenwärtige Forschungsschwerpunkt der Polar-Wissenschaftlerin Kaisu Martinmäki. Jeder Schritt im Alltagsleben geht in die Bewegungsbilanz ein, es entsteht so ein Tagebuch des Körpers. Es war ein Durchbruch. Und er weckte schließlich mächtige Konkurrenz: Seit einigen Jahren werden Wettbewerber wie der GPS-Spezialist Garmin oder der ebenfalls finnische einstige Kompassproduzent Suunto immer stärker. Jeder von ihnen setzt eigene Akzente – die einen stärker auf ein aktives Outdoor-Leben, die anderen auf Design. Polar, mit seinem Schwerpunkt auf Sport und besonderer Messpräzision lange in der Poleposition, musste aufholen: Während sich seine Fitness-Uhren als eher wuchtige Sportcomputer präsentierten, als eindeutiges „Seht her, ich trainiere“-Statement, gleichen die Neuschöpfungen äußerlich schicken Smartwatches – obwohl sie sportlicher sind als ihre Ahnen.

In diesen kleinen Apparaten materialisiert sich die ganze Wucht des rasenden Fortschritts unserer Zeit: Zwischen Professor Seppos Erfindung und den Mittsommer 2018 fällt die gesamte Geschichte des World Wide Web, des Handys, der Satellitennavigation und des Smartphones. Währenddessen wurden Computer winzig – Sportuhren sind nichts anderes als Kleinstcomputer mit zahllosen Sensoren: Dreidimensionale Beschleunigungen können sie messen, Höhe, Strecke und Geschwindigkeit, Schlafen und Wachen, Anstrengung und Erholung. Und jeden Herzschlag. Dabei ist es seit den Anfangstagen geblieben.

Der Blick ins Innere

Aber ihre Technik wurde alltagstauglich – wie Ärzte von einst erfühlen die jüngsten Sportuhren den Puls wieder direkt am Handgelenk: Mit optischen Sensoren leuchten sie durch die Haut und zählen die anwallenden Pulswellen des Blutes. Rote und grüne Leuchtdioden auf der Rückseite der Uhren verraten diesen Mechanismus, verschiedene Lichtfarben erhöhen die Genauigkeit. Die optische Messung beherrscht auch die Konkurrenz, und deshalb haben die Finnen ihr neues Sensorfeld komplexer gestaltet: Vier Metallkontakte, zugleich auch Anschluss für das Ladegerät, messen den Hautwiderstand, Korrekturfaktoren in der Software können so mögliche Fehler im Datenstrom der Lichtmesssonden auslöschen: Das rüttelnde, schüttelnde und schwingende Handgelenk sei nämlich ein Albtraum für Messtechniker, sagt Jyrki Schroderus, Wissenschaftler in Diensten von Polar. Aber es ist der praktischste Ort für den Benutzer. Obwohl er und die Kolleginnen und Kollegen von Polar zunächst eher misstrauisch der gegenüber dem EKG-Brustgurt geringeren Präzision der jüngeren Technologie waren, entschlossen sie sich zum großen Sprung nach vorn: Erstmals kann eine „Vantage“ die gesamte Leistung, die der Körper beim Laufen erbringt, die „Running Power“, vom Handgelenk aus messen. Zuvor schnürten Fitness-Fortgeschrittene dafür eigene Sensoren auf ihre Schuhe. Gut Trainierte können so die Effizienz ihres Laufstils perfektionieren, damit sie ihre Kräfte ökonomisch über lange Distanzen strecken können. Und wer schon einmal einen Ergometertest oder ein Belastungs-EKG erlebt hat, weiß: Solch eine Wattzahl ist eine aussagekräftige Sache – nach dem Prinzip Hiki und Data.

Das Herz gibt den Takt vor

Wer nach ihm leben möchte, muss investieren – für ein Spitzenmodell der Selbstvermessung wie die professionelle „Vantage V“ um 500 Euro, für die volkstümlichere „Vantage M“ rund 280. Dafür gibt es allerdings an die 100 Trainingsprogramme dazu, Synchronisierung mit Smartphone und PC und die bisher datenreichste Balancier-Funktion zwischen Training und Erholung in der Trainingsuhren- Geschichte. Und eine bislang unerreichte Batterielebenszeit von 40 (Modell V) beziehungsweise 30 Stunden (M) im GPS- und Herzfrequenz- Messmodus. Die stolzen Schöpfer von Polar verhehlen nicht, dass sie sich damit ganz bewusst im oberen Segment ihres Marktes positionieren, unterhalb dessen sich für sparsame Freizeitsportler manche Alternative finden lässt. Aber so sei es eben, das Erbe des Professor-Pioniers Seppo Säynäjäkangas, der im April 2018 gestorben ist.

Dass seine Standards weiter gelten, wird denn auch handfest demonstriert: Wer – zum Beispiel nach einer wenig überzeugenden Darbietung seiner Radfahrkünste – Frustrationen abzubauen hat, kann ein Quantum Trost beim Uhrenwerfen finden. Was wie eine weitere exzentrisch-finnische Idee klingt, ist ein technisches Muss in der abschließenden Entwicklung der Instrumente: Im Tiefgeschoss der Polar-Unternehmenszentrale unterhält Markku Rissanen dafür ein Testlabor. Ein Roboter schleudert für ihn Vantage-Prototypen auf eine massive Steinplatte hinab. Nebenan werden ihre Geschwister bei minus 40 Grad gefroren, 72 Stunden lang. Und dann wird Rissanen sie auf die moderate Saunatemperatur von 70 Grad plus aufheizen. Er quält sie ausdauernd mit Wind, Wetter und Ultraviolettlicht, und wer sich überzeugen mag, dass ein Mensch sogar für Uhrenarmbänder Mitgefühl entwickeln kann, braucht nur die automatische Streckbank zu betrachten, auf die Rissanen sie tagelang spannt. Wer das erlebt hat, dem fällt es leichter, ohne Selbstmitleid aufs Laufband zu steigen. Versprochen.

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